Süddeutsche Zeitung

Christdemokraten:Friedrich der Große

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Was der Partei- und Fraktionschef Merz unter Oppositionsführerschaft versteht.

Kommentar von Boris Herrmann

Die Oppositionsführerschaft ist kein offizielles Amt, sondern eine informelle Funktion. Aber Friedrich Merz füllt diese Funktion nun so umfassend aus, dass man ihm auch eine amtliche Oppositionsführer-Urkunde verleihen könnte. Nachdem ihn neulich schon die CDU mit derartiger Begeisterung zu ihrem Parteichef gekürt hatte, dass es Merz vor Rührung die Tränen in die Augen trieb, hat ihn nun auch noch die Unionsfraktion mit einem enormen Ergebnis zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Der bislang letzte Oppositionsführer der Union mit einer derartigen Machtfülle war eine Oppositionsführerin. Und es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass Angela Merkel dafür vor rund zwanzig Jahren Merz etwa so gnadenlos vom Fraktionsvorsitz verdrängte, wie Merz das jetzt mit Ralph Brinkhaus tut.

Mal liebäugelt er mit der Atomkraft, mal mit dem Boykott der Impfpflicht für Pflegekräfte

Eine politische Karriere, die schon mehrmals beendet zu sein schien, erlebt damit ein fast schon unwirkliches Comeback. Partei und Fraktion liegen Merz zu Füßen und zwei, die eben noch wie interne Widersacher aussahen, haben sich ihm nun scheinbar recht umstandslos ergeben. Neben Brinkhaus ist da auch CSU-Chef Markus Söder zu nennen, der plötzlich so tut, als habe er immer von einem Friedrich dem Großen geträumt, dem er dienend zur Seite stehen könne.

All diese Volten sind nur damit halbwegs schlüssig zu erklären, dass CDU und CSU noch immer traumatisiert von sich selbst sind. In den Bundestagswahlkampf 2021 war die Union mit einer Art Vierfaltigkeit gestartet. Da agierte der eher geduldete als geliebte CDU-Vorsitzende Armin Laschet neben dem wochenlangen Kanzlerkandidaten-Kandidaten Söder und dem seinerseits auf höhere Weihen schielenden Unionsfraktionschef Brinkhaus, während irgendwo im Hintergrund noch immer die Kanzlerin Angela Merkel wirkte. Und nicht selten sah es so aus, als agierten alle vier in vier unterschiedliche Himmelsrichtungen. Das Ergebnis ist bekannt und die Union nach 16 Jahren wieder in der Opposition. Ein Niedergang, ohne den der späte Aufstieg von Merz undenkbar gewesen wäre.

Die Sehnsucht nach Einigkeit ist dieser Tage allgegenwärtig in der Union. Und maßgebliche Beteiligte nehmen dafür nun offenbar auch in Kauf, dass diese Einigkeit von der Position des Friedrich Merz bis auf Weiteres praktisch nicht mehr zu unterscheiden ist.

Der Oppositionsführer hat bereits mehrmals klargemacht, wie er seine neue Rolle auszufüllen gedenkt. Man könnte das einen konstruktiven Provokationskurs nennen. Mal liebäugelt Merz mit der Wiederbelebung der Atomkraft, mal mit dem Boykott der Impfpflicht für Pflegekräfte, nur um dann im Hintergrund durchblicken zu lassen, dass alles nicht so wild gemeint gewesen sei. Er versucht seinen Leuten seit Wochen einzuimpfen, dass sie endlich in den Oppositionsmodus wechseln müssten. Soll heißen: Nicht destruktiv auftreten, aber auch keine Gelegenheit auslassen, die Ampelkoalitionäre ein wenig vor sich herzutreiben. Nicht wir müssen, die müssen - so lautet die Devise.

Je nach politischem Standpunkt taugt Friedrich Merz als Projektionsfläche für einen Heilsbringer oder ein Feindbild. Für einige dürfte es jetzt wohl wieder leichter werden, die Union zu wählen, für andere wieder logischer, sie zu verachten. Das macht die politische Debatte vielleicht hin und wieder ein bisschen ruppiger, aber nicht unbedingt uninteressanter.

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