Süddeutsche Zeitung

Südafrika:Die Apartheid lebt

Frederik Willem de Klerk hat Südafrika den Übergang in ein demokratisches Heute ermöglicht. Ein Friedensengel? Nein, geläutert war er bis zu seinem Tod nicht - und das Land leidet weiter.

Kommentar von Bernd Dörries

Vor einem Jahr hat Frederik Willem de Klerk sich noch einmal zu Wort gemeldet, um klarzustellen, was ihm sein ganzes Leben wichtig war: dass die Apartheid kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen sei. Ein Fehler ja, aber kein ganz so schlimmer. Wer anderer Ansicht sei, falle letztlich auf sowjetische Propaganda herein, teilte seine Stiftung mit. Die Sowjetunion gab es da schon lange nicht mehr, aber man wusste nun, dass es noch den alten de Klerk gab, der sein ganzes politisches Leben in einer Partei verbracht hatte, die die Apartheid erdachte und ermöglichte. Den Friedensnobelpreis hat de Klerk 1993 mit Nelson Mandela bekommen, dafür, dass sie beide Südafrika in eine demokratische Zukunft überführten.

Der Preis schien damals folgerichtig und unausweichlich zu sein, heute hat sich der Blick auf beide Helden von damals verändert, was vor allem mit dem heutigen Zustand Südafrikas zu tun hat. Die trübe Realität verändert den Blick auf die Geschichte. Das Erreichte wird Normalität, das Unvollendete schmerzlicher Dauerzustand.

Als de Klerk den Nobelpreis erhielt, sahen viele in ihm eine Art Friedensengel, den letzten weißen Präsidenten Südafrikas, der aus den Fehlern der Geschichte gelernt hatte und nun der anderen Seite, der schwarzen Bevölkerung, die Hand reichte in der Hoffnung auf Versöhnung und eine echte gemeinsame Zukunft. Geschichte ist oft erst aus der Distanz zu verstehen. In den Nachrufen auf de Klerk, der am Mittwoch gestorben ist, findet sich nur noch wenig Heldenhaftes. De Klerk war kein idealistischer Reformer, eher ein Pragmatist, der den Lauf der Zeit richtig deutete, erkannte, dass die Apartheid am Ende war. Aus seiner Sicht ein erschöpftes System, isoliert in der Welt, ökonomisch am Boden, verfilzt und nur noch mit immer mehr Gewalt aufrechtzuerhalten.

De Klerk hat nicht verstanden, was die Jahrhunderte der Unterdrückung angerichtet haben

Was die Apartheid und auch die Jahrhunderte der Unterdrückung davor gemacht haben mit der schwarzen Bevölkerung, das schien de Klerk nie wirklich verstanden zu haben, die Dehumanisierung, Chancenlosigkeit und Verrohung. Mit dieser Uneinsichtigkeit steht de Klerk auch stellvertretend für einen Teil der weißen Bevölkerung.

Die Verhandlungen zum Ende der Rassentrennung schienen damals der einzig gangbare Weg zu sein, um noch mehr Gewalt zu verhindern. Heute sieht man die Kosten. Die weiße Minderheit gab die Macht ab, durfte dafür aber Reichtümer und ihr in Teilen geraubtes Land behalten. Wer seine Taten gestand, wurde amnestiert. Die Macht ging an die Schwarzen über, viele Weiße lehnten sich zurück und sagten: Nun macht mal. Natürlich wurde einiges erreicht, auch gemeinsam: Der unblutige Übergang, Millionen neue Häuser für die Ärmsten, medizinische Versorgung und der Zugang zu Bildung. Aber zu viele, vor allem schwarze Südafrikaner, haben keine echte Chance auf ein anderes Leben. Die politische Apartheid wurde von der ökonomischen abgelöst. Zur weißen Elite gesellte sich eine kleine schwarze Mittel- und Oberschicht, für viele andere blieb alles gleich. Oder wurde schlechter, die Infrastruktur zerfällt, die Arbeitslosigkeit steigt.

Weiße wie de Klerk sagen, schaut, was die aus unserem Land gemacht haben. Sie sehen nicht, wie sehr die Geister von damals auch noch das Heute prägen. Wie schaffen wir ein gerechtes Land für alle, wie kommen wir dorthin? Es ist eine Debatte, die intensiver geführt werden könnte. Vor allem auf der weißen Seite, der es mehrheitlich sehr gut geht. Viele helfen, ja, und manche wollen vielleicht helfen, wissen aber gar nicht, wo man anfangen kann. Manche hängten sich aber nur ein Poster von Nelson Mandela ins Wohnzimmer und dachten, das reiche, um das Land zu verändern.

Auch auf Nelson Mandela blickt das Land heute anders

Auch auf Mandela blickt das Land heute anders als damals, als er mit de Klerk den Friedensnobelpreis bekam. Vor allem schwarze Südafrikaner sehen in ihm einen, der den Weg nicht weit genug gegangen ist, den Besitz nicht neu geordnet hat. Sein ANC ist heute keine Befreiungsbewegung mehr, sondern eine mafiöse Organisation, von der das Land befreit werden muss.

Wenn nun die dringend benötigten Touristen aus Europa wieder kommen, werden sie ein wunderschönes Land sehen, eines der besten Reiseziele der Welt - Berge, Strände und Weingüter. Man muss es gesehen haben.

Was viele Südafrikaner sehen: Obszöne ANC-Korruption, Stromausfälle und Zugstrecken, auf denen kein Zug mehr fährt. Mandela wird heute deshalb nicht mehr nur als Held gesehen, sondern als einer, der zu viele gewähren ließ: Korruption erklärte er zu oft zu einer Art internen Angelegenheit.

De Klerk wurde einst als großer Staatsmann gefeiert, heute wird er eher als ein von der Realität getriebener Pragmatiker gesehen. Aber Geschichte und Politik und Demokratie leben nicht nur durch die Entscheidungen Einzelner, sie sind vor allem auch die Summe vieler kleiner Entscheidungen. Bei den Kommunalwahlen vor einigen Tagen erhielt der ANC zum ersten Mal weniger als 50 Prozent der Stimmen. Es könnte für Südafrika der nächste und ein so wichtiger Schritt sein.

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