Frankreich:Alles ganz normal

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Im TV-Duell vor Frankreichs Schicksalswahl unterließ es Präsident Macron merkwürdigerweise, seine Kontrahentin Marine le Pen als die Extremistin anzuprangern, die sie ist.

Kommentar von Thomas Kirchner

Es ist ein vertrautes Ritual, das Frankreich am Mittwochabend erlebte. Emmanuel Macron und Marine Le Pen, die beiden Kandidaten für das höchste Staatsamt, sitzen einander gegenüber beim Fernsehduell vor der entscheidenden Wahlrunde. Sie haben ganz unterschiedliche Vorschläge für die Probleme des Landes. Der eine will das Rentenalter anheben oder die Benzinpreise deckeln, die andere die Rente mit 60 erlauben und die Mehrwertsteuer auf die hundert wichtigsten Produkte abschaffen. Es wirkt wie früher, als sich Jacques Chirac oder François Mitterrand duellierten, der Konservative gegen den Linken. Ganz normal eigentlich?

Und doch stellte sich im Laufe des Abends beim Betrachten ein wachsendes Unbehagen ein. Marine Le Pen ist keine "normale" Kandidatin. Sie ist eine radikale, eine rechtsradikale Politikerin. Würde sie Präsidentin, stiege Frankreich de facto aus der Europäischen Union aus. Immigranten verlören das Recht auf Kinder- und Wohngeld, muslimische Frauen müssten ihren Schleier auf der Straße ablegen. Le Pens politische Überzeugungen ähneln denen von Wladimir Putin und Viktor Orbán, die sie bewundert, denen sie nacheifert. Sie ist eine Extremistin.

Hätte Macron darauf nicht viel intensiver hinweisen, hätte er das nicht zehnmal sagen müssen? Er hat es, aus welchen Gründen auch immer, unterlassen. Er wies nur auf die finanzielle Verstrickung Le Pens mit Putin hin, nicht auf ihre ideologische Nähe. So trägt er bei zu der Normalisierung, um die sich Le Pen seit Langem bemüht. Die auch die Medien besinnungslos betreiben, wenn sie harmlose Homestorys über die Kandidatin samt Katzenbildern publizieren. Es wirkt, als hätte Macron den Kampf, um den es eigentlich geht, längst aufgegeben.

Bleibt die Frage, wie ein der Dimension des Problems angemessener Umgang mit dem nationalistischen Autokratismus aussieht, der in Europa um sich gegriffen hat. In Frankreich wird das Problem gerade eher weichgespült. Vielleicht muss man deutlicher reden.

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