Wissenschaft handelt nicht von dem, was man schon weiß, sondern von dem, was es erst noch zu verstehen gilt. Es ist unklug, sie auf gegenwärtige Bedürfnisse hin verzwecken zu wollen, denn die Menschen kennen nicht alle Fragen, die sie einmal beschäftigen werden. Welcher Bildungspolitiker hätte sich vor einem Jahr für Ukrainisch-Studiengänge starkgemacht, immerhin nach Russisch und Polnisch die am weitesten verbreitete slawische Sprache? Welche Ministerin hätte vor drei Jahren die Epidemiologie zum Topthema gemacht und in einem Umfang gefördert, wie das etwa bei all den neuen Lehrstühlen zur künstlichen Intelligenz geschieht?
Die Bundesrepublik lebt nicht vom Export allein, und auch nicht mehr nur von industrieller Produktion. Längst besteht das Kapital, das in Zukunft dazu beitragen kann, den Wohlstand zu sichern, auch in dem Wissen, das hierzulande entsteht, den Forschenden, die hierzulande arbeiten. Das geht nur mit internationaler Zusammenarbeit, guter Grundausstattung, mit verlässlichen Investitionen nicht nur von Drittmittelgebern, sondern vor allem der öffentlichen Hand.
Vor diesem Hintergrund wirkt die aktuelle Wissenschaftspolitik erschreckend unbedacht und kurzatmig. Erst streicht das Auswärtige Amt Tausende Stipendien des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und reißt so Löcher in das Netz internationalen Austausches gerade in dem Moment, in dem Demokratien bedroht sind und Deutschland um seine künftige Rolle in der Welt ringt. Dann kürzt die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) Etats mit der Machete zusammen, ohne zu sagen, was genau sie eigentlich erreichen will. Mündliche Zusagen und solche per Mail wurden zurückgezogen, Folgeprojekte gestrichen, in denen die Früchte hätten geerntet werden sollen. Vorhaben, die wenig gekostet hätten, aber viel Ergebnis versprachen, wurden eingestellt. Nach öffentlichem Protest ruderte die Ministerin in einigen Fällen zurück, etwa bei der Rechtsextremismus-Forschung.
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Professoren sind verunsichert, der Nachwuchs verlässt die Hochschulen
Der Schaden aber ist da. Professoren sind verunsichert, Postdoktoranden verlassen die Hochschulen, vielversprechende Ansätze scheitern ohne Not oder werden rabiat verkleinert. Es leidet selbst unmittelbar Dringliches wie ein Vorzeigeprojekt zur Artenvielfalt, eine Ideenschmiede für den Städtebau in der Post-Covid-Zeit und die soziologische Forschung zu den gesellschaftlichen Folgen dieser Jahre, etwa zu "Fürsorgedynamiken in der Pandemie". Erst recht ist die Breite der Fächer betroffen, so wird das kulturhistorische Unterfangen, die Geschichte der Statussymbole im 18. Jahrhundert an Objekten zu erzählen, nun wohl nicht in eine Ausstellung münden, also für eine große Öffentlichkeit nicht sichtbar werden. Es ist, als hätte systematisches Nachdenken keinen Wert, als käme es nicht mehr darauf an, die Welt in all ihren Facetten zu verstehen.
Was die höhere Absicht dahinter ist, wird sich vielleicht zeigen, wenn die Ministerin Ende des Monats auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion antwortet, die eine Reihe von Bedenken zu den Kürzungen äußert. Sie wird darum kämpfen müssen, das Vertrauen der Wissenschaftler zurückzugewinnen und ihnen - vor allem auch den Jüngeren - die Stabilität zu geben, die sie brauchen und die das Land braucht.