Aktuelles Lexikon:Bauernopfer

Weniger wert, also im Zweifel weg mit ihnen: die Bauern beim Schach. (Foto: Mark Lennihan/AP)

Beliebt bei allen, die keine Lust haben, die Verantwortung zu übernehmen, wenn etwas schiefgelaufen ist.

Von Kia Vahland

Schach ist ein strategisches Spiel, aber auch ein hierarchisches: Der Turm hat mehr Handlungsoptionen als der Bauer, die Königin mehr als der Turm. Entsprechend werden erst die Figuren riskiert, die vermeintlich weniger zählen. Denn am Ende kommt es nicht darauf an, wer das meiste Personal auf dem Brett hat, sondern wessen König am längsten durchhält. Wer ein Bauernopfer erbringt, nimmt den Verlust einer hierarchisch niedrig stehenden Figur in Kauf, um nicht das ganze Spiel zu verlieren. In der Politik ist von einem Bauernopfer die Rede, wenn ein Staatsmann oder eine Ministerin in Bedrängnis gerät und es für klug hält, die Schuld bei Untergebenen zu suchen, anstatt Fehler einzugestehen. So trat im Februar Ungarns Staatspräsidentin Katalin Novák im Skandal um den Missbrauch in einem Kinderheim zurück und lenkte damit die Aufmerksamkeit von Ministerpräsident Viktor Orbán ab. Das Phänomen lässt sich aber nicht nur bei Populisten beobachten. Gerade steht die liberale Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in Verdacht, sich der politischen Verantwortung in der Fördergeld-Affäre entledigen zu wollen, indem sie ihre Staatssekretärin Sabine Döring in den einstweiligen Ruhestand versetzen ließ – was nicht nur Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) für ein „Bauernopfer“ hält.

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