Proteste gegen Rassismus:Was ist mit den türkischen Mordopfern in Deutschland?

Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd durch einen Polizisten in Minneapolis fand unter dem Hashtag BLM Black Lives M

Nach dem Tod von George Floyd demonstrieren auch auf dem Römerberg in Frankfurt Tausende gegen Gewalt und Rassismus.

(Foto: imago images/Ralph Peters)

Die Ermordung George Floyds durch einen Polizisten in den USA treibt auch hier Tausende auf die Straßen. Doch so geht der Protest an der innerdeutschen Realität vorbei.

Kommentar von Sara Maria Behbehani

Erneut wollen am Wochenende Tausende Demonstranten der "Black Lives Matter"-Bewegung in Deutschland auf die Straße gehen. Ein achtminütiges Ereignis in den USA hat einen Massenprotest ausgelöst, der auch hier anhält. Acht Minuten Grausamkeit von jenseits des Atlantiks sind plötzlich ganz nah. Acht Minuten Todeskampf, zu sehen in den eigenen vier Wänden, auf einem Bildschirm, dem Handy. #BlackLivesMatter lautet das Motto, nicht #AllLivesMatter - ein Hashtag, der allerdings leider von einer gewissen Rechten gekapert worden ist.

Es geht um das Leben Schwarzer. Und doch muss man sich fragen, warum diese Bewegung aus den USA solchen Anklang in Deutschland findet. Denn sie ist - wegen der Zusammensetzung der Bevölkerung, des historischen Hintergrunds von Einwanderung und Sklaverei sowie des Handelns der Polizei - auf die USA zugeschnitten und nicht mit den Verhältnissen in der Bundesrepublik vergleichbar. Warum bringen so viele Deutsche mehr Empathie für einen ermordeten Schwarzen in den USA auf als für einen ermordeten Türken im eigenen Land? Warum bewegt diese Gesellschaft das Schicksal Floyds mehr als das Enver Şimşeks, des ersten Opfers des NSU?

Selbstverständlich trifft Schwarze in Deutschland Rassismus. Selbstverständlich muss man dagegen vorgehen. Und es ist längst Zeit, dass systemischer Rassismus in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Nur richtet sich Rassismus in Deutschland keineswegs nur gegen Schwarze. All jene, die nicht "typisch deutsch" aussehen, können davon berichten: etwa von Personenkontrollen, die eigentlich Gesichtskontrollen sind. Der Rassismus zeigt sich in vielem, bis hin zu den NSU-Morden, bis Halle oder Hanau.

Offenbar ist es leichter, sich für etwas Fernes zu engagieren

Rassistisch motivierte Morde in Deutschland: Massenproteste - wie nach der Ermordung George Floyds in den USA - gab es da nicht. Das mag daran liegen, dass man Floyd beim Ersticken zusehen musste; und daran, dass ihn ein Polizist umbrachte und kein Mensch, den man als irren Nazi abtun kann.

Doch das reicht als Erklärung nicht. Offensichtlich geht den Demonstranten ein Ereignis, das zunächst im Internet global Empörung hervorrief, näher als das, was im eigenen Land passiert. Zudem mag es leichter sein, sich für etwas Fernes zu engagieren, das für das eigene Leben kaum Relevanz hat, als für das Nahe. Denn das würde erfordern, sich auch mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen. Auch in Deutschland müsste man ja nach Diversität fragen, nach Vorurteilen und nach Kontakt zwischen Ausländern sowie Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Alle Seiten müssten das.

So aber geht der Protest an der innerdeutschen Realität vorbei. Soll die Debatte um Rassismus Veränderungen bewirken, darf die Bewegung aus den USA nicht einfach unreflektiert importiert werden, als ginge es um einen neuen Nike-Schuh oder ein iPhone. Die Bewegung kann aber zum Anlass werden, die Debatte auf deutsche Probleme zu lenken und Schwarze, Muslime, Juden, osteuropäische Gastarbeiter und alle nicht "typisch deutsch" aussehenden Deutschen einzuschließen. Auch für sie lohnt es sich zu demonstrieren. Und vor allem lohnt es sich, einander kennenzulernen - nicht erst als sterbendes Gesicht im Netz, sondern real, von Angesicht zu Angesicht.

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