Süddeutsche Zeitung

FDP:Sind sie so frei?

Die Liberalen profitieren in den Umfragen von der Corona-Strategie des Parteichefs. Bald muss Lindner die Frage klären, ob er sich im Bund eine Ampel-Koalition zutraut. In der eigenen Anhängerschaft würde das viele verstören.

Von Daniel Brössler

Als FDP-Chef Christan Lindner im Jahr 2017 die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition mit Union und Grünen platzen ließ, markierte dies das Ende der damaligen Regierungsoption, aber nicht das Ende dieser Geschichte. Sie harrt noch einer Pointe. Eine Zeit lang schien festzustehen, dass sie für die FDP bitter ausfallen würde. Lindners Diktum, es sei besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren, erwies sich als kommunikative Katastrophe. Die FDP wirkte wie eine Partei auf der Flucht vor Verantwortung und stürzte in den Umfragen ab. Einige turbulente Jahre und eine Pandemie später sieht die liberale Welt allerdings schon wieder anders aus. Selbst was eben noch Hirngespinst war, eine Ampel-Koalition mit Grünen und SPD, könnte morgen eine Option werden.

In den Umfragen hat sich die Partei wieder klar von der parlamentarischen Todeszone entfernt, in die sie Thomas Kemmerich durch die Annahme seiner Wahl zum Thüringer Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD manövriert hatte. Das liegt am anfangs holprigen, schließlich aber doch wirksamen Krisenmanagement Lindners - vor allem aber an einer richtigen Weichenstellung in einer relativ frühen Phase der Pandemie. Indem Lindner den Konsens mit der Regierung aufkündigte, platzierte er seine Partei in einer politischen Marktlücke. Die Liberalen stellen einzelne Maßnahmen infrage, ohne die Gefährlichkeit des Virus zu leugnen. Sie betonen den Wert der Freiheit, ohne die Verantwortung des Staates zu negieren.

Lindner wirkt gelassen - das hat man lange nicht mehr erlebt

Das ist vielleicht kein Programm, um den Zuspruch der Massen zu gewinnen, aber bei der potenziellen Wählerschaft der Liberalen kommt es an. Der Partei und vor allem ihrem Vorsitzenden hat das geholfen, den Panikmodus zu überwinden. Lindner, der seine Botschaften oft zu übersteuern pflegte, wirkt mittlerweile fast schon gelassen. Das dürfte sich verstärken, wenn die FDP bei den Landtagswahlen so ordentlich abschneidet, wie es die Umfragen jetzt vermuten lassen. Wenn die Ampel in Rheinland-Pfalz bestätigt wird und in Baden-Württemberg womöglich eine hinzukommt, werden sich die Liberalen solchen Fantasien auch für den Bund nur schwer entziehen können. Sie sollten es auch nicht.

Dann jedenfalls nicht, wenn die FDP mit ihrem Mantra von der Eigenständigkeit ernst genommen werden will. Christian Lindner hat Fragen nach der Ampel zuletzt gerne mit dem Hinweis gekontert, die Zahlen sprächen da doch eher für Schwarz-Gelb. Lindner weiß natürlich, dass Schwarz-Gelb, Stand heute, nur einen Hauch weniger unwahrscheinlich ist als die Ampel. Eher fürchtet er, dass sich solche Planspiele verselbständigen und jene in Partei und Anhängerschaft verschrecken, welche die Eigenständigkeit der FDP immer noch nur darin sehen, eine Koalition unter Führung der Union einzugehen - oder diese auch mal abzulehnen.

Sollte sich die Krise der Union verschärfen und in der Wählerschaft der Wunsch wachsen, die Partei nach anderthalb Jahrzehnten wieder in der Opposition zu sehen, hätte die neuerdings so erleichterte FDP wieder ein Problem. Bisher galt als sicher, dass sie sich einem Jamaika-Bündnis kein zweites Mal entziehen würde. Für einen von Wechselstimmung geprägten Wahlkampf würde das nicht genügen. Die Wähler müssten der FDP den Mut zu neuen Bündnissen zutrauen, auch zu einer Ampel, in der sie das in der Pandemie geschärfte Freiheitsprofil einbringen könnte. Als Wendung wäre das überraschend - wie jede gute Pointe.

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