Süddeutsche Zeitung

Regelungen:Weniger Kniefreiheit in Fahrschulautos

Akribisch regelt eine Verordnung den Platzbedarf für Prüfer von TÜV und Dekra. Etliche E-Autos sind deshalb nicht für Führerscheinprüfungen zugelassen. Es ist höchste Zeit, die Prüfstellen zu Vernunft anzuleiten.

Kommentar von Hendrik Munsberg

Zu den Kardinaltugenden der deutschen Autoindustrie zählen Präzision und Zuverlässigkeit. Durch Qualitätsbewusstsein sind Daimler und BMW, Volkswagen und Audi, einst groß geworden. Vom langjährigen VW-Patriarchen Ferdinand Piëch wird gern erzählt, dass er bei internen Fahrzeugkontrollen das Spaltmaß zwischen Türen und Karosserie aufs Genaueste prüfte, "Fugen-Ferdl" hieß er darum mit Spitznamen. Auch wegen dieser DNA waren deutsche Autos weltweit anerkannt und bei Kunden beliebt. Bis heute bilden die Konzerne das Rückgrat der deutschen Industrie, das nach dem Dieseltrauma aber auf besorgniserregende Weise gelitten hat.

Nicht wegzudenken aus diesem automobil-industriellen Kosmos sind TÜVs und Dekra. Das sind jene Organisationen, die in Deutschland für Sicherheit im Straßenverkehr sorgen - bei der Zulassung von Fahrzeugen und bei Führerscheinprüfungen. Es sind private Einrichtungen, die der Staat im wichtigen Feld der Verkehrssicherheit mit Hoheitsrechten betraut hat. Niemand sollte ihre Verantwortung gering schätzen; sie wird deutlich, wenn man einen Blick in die Historie wirft, ins Zeitalter der Dampfmaschinen, als in der Ära ungezügelter Industrialisierung reihenweise Dampfkessel explodierten, wobei Menschen starben. Um solche Unfälle zu verhüten, wurde die "Gesellschaft zur Ueberwachung und Versicherung von Dampfkesseln" gegründet, die als Vorläuferin der Technischen Überwachungsvereine gilt. Das muss man wissen, um zu ermessen, welche zivilisatorische Errungenschaft Einrichtungen wie TÜVs und Dekra sind. Ihr Wirken dient dem Wohl der Allgemeinheit.

Jedenfalls meistens. Jetzt illustriert ein kleines Schaubild in einer deutschen Verordnung, dass Genauigkeit auch zum Problem werden kann - wenn sie in Starrsinn übergeht. Womöglich ist damit sogar das Kardinalproblem beschrieben, von dem sich die gesamte deutsche Autobranche derzeit zu kurieren sucht. Das fragliche Schaubild findet sich im "Anhang der Fahrerlaubnisverordnung". Dort ist akribisch vermessen und vorgeschrieben, welchen Raum die Fahrprüfer von TÜVs und Dekra beanspruchen, wenn sie sich in einem Auto zur Führerscheinprüfung niederlassen. Millimetergenau ist alles festgelegt - von Mindestkniefreiheit bis Rückenlehnenhöhe. Schon ästhetisch atmet die Grafik den Geist der 80er-Jahre. Weil sie bis heute verbindlich ist, sind derzeit nur drei E-Auto-Modelle für Fahrprüfungen zugelassen. In etlichen anderen ist es den Prüfern schlicht zu eng.

Tüv und Dekra geht es nicht nur um Sicherheit, sondern auch um Geld

Zu Recht beklagen die Fahrschulen, dass durch solche Vorschriften der Trend zu Elektroautos gebremst wird. Dabei haben inzwischen auch die deutschen Autokonzerne begriffen, VW voran, dass an E-Autos kein Weg mehr vorbeiführt. Umso unbegreiflicher ist, warum das nicht auch für Fahrschulen gilt, wo Fahranfänger für die mobile Welt geprägt werden.

Natürlich haben TÜVs und Dekra diese Verordnung nicht selbst verfasst, aber sie fungieren als wichtige Berater, wenn Ministerien derartige Bestimmungen erlassen. Der TÜV-Verband bekennt sich sogar aus voller Überzeugung dazu: Es gehe schließlich darum, für einen sichereren und angemessenen Arbeitsplatz der Prüfer zu sorgen, schließlich müssten diese oft tagein, tagaus in den Autos sitzen.

Gewiss, eine die Gesundheit erhaltende Arbeitsplatzgestaltung ist auch bei Fahrprüfern ein wichtiges Anliegen. Aber vielleicht geht es auch weniger schematisch und praxisfern? Ein bisschen weniger Kniefreiheit sollte doch möglich sein. Zudem verliert die angeblich nur auf Arbeitnehmerschutz zielende Position der TÜVs an Strahlkraft, wenn man weiß, dass die Techniküberwacher für einzelne Autotypen Ausnahmegenehmigungen erteilen, wenn Fahrschulen dafür zahlen. Profiteure einer konzilianteren Zulassung von E-Autos für Fahrschulprüfungen wären derzeit vor allem ausländische Autoproduzenten, die bei Elektroantrieben gegenüber deutschen Konkurrenten Vorteile haben. Gibt es da am Ende nicht nur einen gemeinsamen Kosmos von Industrie und Techniküberwachern, sondern einen automobil-industriellen Komplex?

Dass es TÜV und Dekra nicht immer nur um Fahrsicherheit geht, sondern auch ums Geldverdienen, zeigt eine andere Besonderheit bei Führerscheinprüfungen. Wer diese in E-Autos absolviert, muss eine weitere - gebührenpflichtige - Prüfung ablegen, bevor er Fahrzeuge mit Schaltung steuern darf. Das Bundesverkehrsministerium will dies, in Absprache mit Brüssel, bald zugunsten der Fahrschüler ändern. Höchste Zeit, TÜV und Dekra zu praktischer Vernunft anzuleiten.

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SZ vom 23.07.2019/lüü
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