Es ist ein historischer Tag: Erstmals seit elf Jahren hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen angehoben, und das stärker als erwartet, um 0,5 Prozentpunkte. Die Notenbank setzt damit das Signal, dass sie entschieden gegen die hohe Inflation ankämpfen will. Und sie beendet die unselige Phase der Negativzinsen, die die Welt für Sparer seit Jahren auf den Kopf stellt. Wenn Banken künftig für Geld, das sie kurzfristig bei der EZB anlegen, keine Strafzinsen mehr zahlen müssen, können sie diese auch nicht an Kunden weitergeben. Kreditinstitute, die das jetzt noch tun, machen sich unmöglich. Zudem wird es nach und nach wieder Zinsen geben für Erspartes.
Viele Menschen haben diesen historischen Tag lange herbeigesehnt. Und doch macht sich keine Erleichterung breit. Die Vorteile, die Sparern und Banken durch die Zinswende zuteilwerden, sind gering im Vergleich zu den Risiken, denen die Wirtschaft derzeit weltweit ausgesetzt ist. Da ist zum einen die Inflationsrate von fast zehn Prozent in Europa. Sie nimmt jenen Sparern, die bald vielleicht ein oder zwei Prozent Zinsen für Festgeld erhalten, ein Vielfaches wieder weg. Und sie belastet vor allem Ärmere, die Preiserhöhungen nicht einfach wegstecken können; die Inflation birgt sozialen Sprengstoff.
Alle Nachrichten im Überblick:SZ am Morgen & Abend Newsletter
Alle Meldungen zur aktuellen Situation in der Ukraine und weltweit - im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Nachrichten-Newsletter bringt Sie zweimal täglich auf den neuesten Stand. Hier kostenlos anmelden.
Mit der starken Zinserhöhung zeigt die EZB auch, dass sie das Problem lange Zeit unterschätzt hat. Wenn sie schon früher einen kleineren Zinsschritt getan hätte, müsste sie jetzt keinen so großen machen. Und es ist längst nicht sicher, ob sie den Preisschub damit wirklich in den Griff bekommt.
Ausgerechnet an diesem Tag scheitert Mario Draghi in Rom
Die Notenbanker in Europa haben einen entscheidenden Nachteil im Vergleich zu den Kollegen in den USA, die sich stärker auf die Bekämpfung der Inflation konzentrieren können. Hohe Zinsen belasten tendenziell die Konjunktur, weil sich Unternehmen und Privatleute nicht mehr so leicht verschulden können, um zu investieren und zu konsumieren. Die Abkühlung der Konjunktur ist ja der Zweck einer Zinserhöhung, weil sie die Nachfrage und damit die Preissteigerung einbremst. Doch die Konjunktur in Europa ist viel zu wacklig. Die hohe Inflation kommt vor allem vom knappen Angebot, nicht von einer überhitzten Nachfrage. Die Pandemie und der Ukraine-Krieg haben die Preise für Energie und Lebensmittel hochschießen lassen. Die EZB läuft Gefahr, dass sie die Wirtschaftskrise, die im Winter droht, falls das Gas aus Russland knapp wird, zusätzlich verschärft, indem sie die Inflation bekämpft. Sie hat nur die Wahl zwischen zwei Übeln.
Und dann ist da noch das italienische Problem. Es ist eine seltsame Ironie, dass die Regierungskrise dort gerade an dem Tag eskaliert, an dem die EZB die Zinswende einleitet. Es verheißt nichts Gutes, dass Mario Draghi gescheitert ist, der das Land auf einen ökonomisch vernünftigen Pfad führte. Nun regiert wieder die Unvernunft. Das heißt eine wahrscheinlich noch höhere Verschuldung, mehr Spekulation gegen italienische Staatsanleihen, noch höhere Zinsen dort. Die EZB verlängert deshalb das Programm, das diese Spekulation eingrenzen soll. Im Grunde wird sie wieder italienische Staatsanleihen kaufen. Das ist keine Wende, sondern die Fortsetzung einer irrigen Geldpolitik - und der verzweifelte Versuch, gleichzeitig Inflation, schwache Konjunktur und hohe Staatsverschuldung zu managen. Der 21. Juli ist ein historischer Tag. Ob er aber eine Wende zum Guten bringen wird, ist lange nicht ausgemacht.