Es klingt nach einer relativ unauffälligen Verabredung - und war doch damals das Gegenteil davon. Im Sommer 1989, als die SED-Führung sich in der DDR noch sicher an der Macht wähnte, beschlossen Evelyn Zupke und ihre Weggefährten aus dem kirchlichen Friedenskreis Berlin-Weißensee einen unübersehbaren öffentlichen Protest. Jeden 7. eines Monats wollten sie sich treffen an der Weltzeituhr am Alexanderplatz, um gegen die Wahlfälschung bei der Kommunalwahl am 7. Mai jenes Jahres zu protestieren: "Wir wollten in die Öffentlichkeit, da, wo es dem Staat wehtut." Eine Minute nur von 17 Uhr bis 17.01 Uhr, aber für die Machthaber war das eine Provokation: Sie knüppelten den Protest nieder. So schildert Evelyn Zupke, aus Binz auf Rügen stammend, Momente aus dieser Zeit, als immer mehr Menschen gegen Lügen und Willkür aufstanden.
Die heute 59-Jährige war eine von vielen Mutigen, die nicht wissen konnten, wie all das ausgehen würde. Daran erinnert sie sich nun, drei Jahrzehnte später, kurz bevor sie am Donnerstag das neue Amt der SED-Opferbeauftragten des Bundestages antrat. An die Sorge, die Angst und dann die Erleichterung, als sich nach der großen Demonstration in Leipzig am 9. Oktober 1989 herumsprach, dass es nicht zum Blutvergießen kommen sollte, dass die Machthaber nicht auf die Bürger schießen ließen. "Niemand wusste, was passieren würde", sagt sie. Sie engagierte sich in diesen aufgewühlten Jahren weiter für den friedlichen Wandel, beruflich widmete sie sich der Sozialarbeit, und beides zusammen klingt für jene, die sie in einem langen Prozess auswählten, wie eine gute Mischung mit Blick auf ihre neue Aufgabe.
Die Einführung des neuen Amtes markiert einen historischen Einschnitt und eine Erweiterung der Perspektive, die Kritiker der DDR-Aufarbeitung schon lange forderten. Drei Jahrzehnte konzentrierte sich der Blick auf die unzähligen Stasi-Akten, die als Zeugnisse von Spitzelei und Verrat aber nur einen Teil der Wirklichkeit erzählten. In den Hintergrund geriet, dass die Stasi einen Auftraggeber hatte, die herrschende SED, die ihre Macht über viele Wege durchsetzte.
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Nun wird die Stasi-Unterlagen-Behörde ins Bundesarchiv integriert, und die Opferbeauftragte soll den Blick weiten. Sie wird sich in einer Sphäre bewegen, in der manche sich seit Jahren fast ausschließlich bewegen und deshalb genau zu wissen meinen, wer aus den alten Zeiten für das Amt besser geeignet gewesen wäre. Die Suche gestaltete sich mühsam, ein Favorit fiel nach Bedenken aus der Bürgerrechtsszene durch. Und es war Skepsis zu vernehmen, als die wenig bekannte Evelyn Zupke nominiert wurde.
Es fällt ja auf, dass sie nicht zum Kreis derer gehört, für die Stasi und SED das alleinige Thema ihres Lebens sind. Sie ging für eine Zeit nach Irland, arbeitete dort in sozialen Projekten. Die vergangenen 13 Jahre unterstützte sie in Hamburg Menschen mit psychischen Erkrankungen. Sie hat eine Ausbildung als Fachkraft für Psychotraumatologie. Das könne ihrem Amt zugutekommen, sagt sie.
Eines ihrer Ziele ist es, bürokratische Hürden für Opfer abzubauen, die Hilfe brauchen. Sie will Ansprechpartnerin auch für jene sein, die bisher weniger im Fokus standen, wenn es um das dunkle Erbe der DDR ging. Ohne eine Priorisierung zu setzen, nennt Kupke etwa Menschen, die als Kinder ins Heim kamen, weil ihre Eltern verhaftet wurden - eine von vielen Gruppen.
Als Stimme der Opfer will sie sich verstehen und damit auch dagegen ankämpfen, dass das Geschehene in Vergessenheit gerät. Schon oft hat Zupke als Zeitzeugin in Schulen berichtet und gemerkt, wie wenig nicht nur im Westen gewusst wird. Sie hält sich mit Festlegungen zurück, schon am Donnerstag traf sie sich mit Vertretern der Opferverbände. "Das Haus muss erst mal gebaut werden", sagt sie über ihr Amt, "dann können wir mit der Arbeit anfangen."