Von den vielen Härten, die Geflüchtete erleiden müssen, gehört die Trennung der Familien zu den schmerzhaftesten. Junge Menschen finden sich nach traumatischen Fluchterlebnissen in einer fremden Umgebung wieder und müssen jahrelang darum kämpfen, ihre Eltern wiederzusehen. Oder die Kinder sind im Land der Herkunft zurückgeblieben und dürfen wegen bürokratischer Blockaden nicht nachkommen. Beides verursacht ausgerechnet bei den Menschen unnötiges Leid, die davon mehr als genug haben.
Es ist deshalb gut, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) an den hohen Rang erinnert hat, den der Schutz der Familie und der Kinder in der EU-Grundrechtecharta genießt - und übrigens auch im deutschen Grundgesetz. Die bisherige deutsche Haltung ist rechtswidrig und muss abgestellt werden. Denn sie erlaubte den Asylbehörden taktische Verzögerungen, um die Verfahren bis zum 18. Geburtstag der Betroffenen liegen zu lassen und damit ihren Anspruch auf Familiennachzug zu unterlaufen. Das hätte man wissen können. Dass der europäische Flüchtlingsschutz ernst gemeint ist, daran hat der EuGH nicht zum ersten Mal erinnert.
Die Verhinderungsstrategie hält die Flüchtlingszahlen niedriger. Aber sie hat auch einen Preis
Es ist zudem nicht verständlich, was mit der Verhinderungsstrategie erreicht werden sollte. Man hält die Flüchtlingszahlen etwas niedriger, das ist richtig. Aber um welchen Preis? Gerade auf die sogenannten "unbegleiteten Minderjährigen" wirkt es destabilisierend, wenn sie in einem fremden Land ohne familiäre Unterstützung Tritt fassen sollen. Wer den Nachzug der Eltern unterbindet, der erschwert Integration und erleichtert womöglich das Abgleiten junger Menschen in die Kriminalität. Kann man das wirklich wollen? Und dann kommt noch etwas hinzu, das man Menschlichkeit nennt. Ausgerechnet in einem Land wie Deutschland, in dem um das Wohl der Kinder bisweilen fast hysterisch gestritten wird, soll man achselzuckend die jahrelange Trennung von Familien hinnehmen? Gut, dass der EuGH hier eingeschritten ist.