Europäische Union:Polen stürzt die EU in eine Existenzkrise

Lesezeit: 2 Min.

Stellt die Grundidee der Europäischen Union infrage: Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. (Foto: Ronald Wittek/AP)

Warschau will den Vorrang des europäischen Rechts nicht mehr akzeptieren und eskaliert den Streit mit Brüssel. Warum die Antwort auf die Provokationen so schwerfällt.

Kommentar von Stefan Kornelius

Polens Regierung hat die seltene Gabe, falsche Entscheidungen und den falschen Zeitpunkt zu einer größtmöglichen Katastrophe zu verbinden. So ignoriert auch diesmal Premierminister Mateusz Morawiecki alle Warnungen und läuft ohne Not mit einer brennenden Fackel ins Europäische Parlament. Die Europäische Union verdankt Polen ihre jüngste Existenzkrise.

Nein, kleiner kann man dieses Problem nicht verpacken, denn Morawiecki stellt die Grundidee der EU infrage: Die Länder Europas vereinen sich zum gemeinsamen Vorteil unter einem (Rechts-)System. Erstaunlicherweise hat Polen dabei den Rückhalt nicht weniger Mitglieder. Ohne gemeinsames Recht aber gibt es keinen Binnenmarkt, keine offenen Grenzen, keinen Haushalt, keine Regeln und Standards. Der Rechts- und Justizraum funktioniert nur mit allgemeingültigen Regeln. Die polnische Sicht könnte schon sehr bald ein deutsches Gericht beschäftigen, wenn etwa ein zur Auslieferung nach Polen anstehender Straftäter geklärt haben möchte, ob in Polen nun gleiches Recht gelte - oder eben nicht mehr.

Polen will ein anderes Europa - und steht damit nicht alleine

Die polnische Regierung hat den Grundkonsens der EU verlassen und damit die stille politische Verabredung gebrochen, auf die sich alle in Europa zuletzt verlassen konnten: Ihr kühlt weiter euer nationalistisches Mütchen, aber die prinzipielle Konstruktion bleibt unangetastet.

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Es gibt verschiedene Gründe, warum sich Morawiecki ausgerechnet jetzt zu seiner Zerstörungstat gedrängt sieht. In Polen wie in Ungarn ist man inzwischen Opfer der eigenen Propaganda, oder umgekehrt: Das ständige Therapiegespräch etwa mit Deutschland oder anderen wirkt nicht mehr. Natürlich ist es Humbug, wenn Morawiecki das deutsche Richterwahlsystem mit dem polnischen vergleicht, weil hierzulande die Pluralität garantiert bleibt, während in Polen die Justiz ihre Unabhängigkeit verloren hat. Auch ist der Spruch des Bundesverfassungsgerichts zur EZB in keiner Weise vergleichbar mit dem polnischen Urteil. Karlsruhe hat nie den Vorrang europäischen Rechts angezweifelt, sondern eine Klärung in einem Graubereich europäischen Rechts erzwungen.

Es gibt kaum Sanktionsmöglichkeiten

Polen will ein anderes Europa - und zur Wahrheit gehört, dass es mit diesem Wunsch nicht alleine ist. Deutschland steht am anderen Ende des Spektrums und mag es gar nicht verstehen, dass die Verrechtlichung Europas nicht als Segen betrachtet wird. Für die künftige Bundesregierung und die Kommission gehört aber auch dies zur bitteren Erkenntnis: Es gibt kaum eine Sanktionsmöglichkeit. Um den Rechtsstaatsmechanismus umzusetzen, fehlt im Rat die qualifizierte Mehrheit. Für harte Sanktionen nach dem Artikel-7-Verfahren sind die Anforderungen noch weniger zu erfüllen.

So beginnt ein zäher Kampf um den Bestand der EU. Die Zeit der Moderation geht mit der Ära Merkel zu Ende, offenbar fühlen sich Polen und seine Verbündeten (nicht nur Ungarn, sondern auch Slowenien oder andere Mitteleuropäer) nun stark genug, die Maschinerie nach ihren Vorstellungen zurückzubauen. Die richtige Antwort auf diese Provokation will wohlüberlegt sein. Sicher ist, dass sie maßgeblich in Berlin formuliert werden muss. Polens Befindlichkeiten als noch immer suchende Nation müssen berücksichtigt werden - aber noch mehr zählen nun die eigenen Interessen. Die Rückkehr in den Nationalstaat und auf den rechtlichen Flickenteppich Europa steht im grotesken Gegensatz zur globalen Dynamik und zur historischen Erfahrung - die doch gerade Polen so leidvoll gemacht hat.

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