Türkei:Vorsicht, Störenfried

Erdoğan wartet bislang vergebens auf einen Anruf des neuen US-Präsidenten. Muss er jetzt den Preis für seine Eskapaden gegenüber der Nato zahlen? Es wäre höchste Zeit, ihn in die Schranken zu weisen.

Von Tomas Avenarius

Recep Tayyip Erdoğan ist nicht der Typ, der geduldig wartet. Derzeit aber muss der türkische Staatschef genau dies tun. US-Präsident Joe Biden sitzt seit dem 20. Januar im Weißen Haus, er hat sich bei fast allen Staatschefs gemeldet, hat Beziehungen aufgefrischt, bestätigt, nachgebessert. Erdoğan aber lässt er zappeln: Man werde sich bei Zeiten schon melden. Mehr kommt nicht aus Washington.

Es wirkt wie eine gezielte Demütigung. Noch bevor er sein Amt antrat, hatte Bidens Außenminister Antony Blinken Ankara als "sogenannten Bündnispartner" verhöhnt. Biden, damals ohne Amt, aber als ehemaliger Vizepräsident eine unüberhörbare Stimme, nannte Erdoğan 2017 einen "Autokraten", der "einen Preis zahlen muss". Die Ausgangslage im amerikanisch-türkischen Verhältnis unter dem neuen US-Präsidenten ist also klar.

Recep Tayyip Erdoğan hat eingeräumt, das Verhältnis zu den USA sei "auf die Probe gestellt" worden. Die strategische Partnerschaft habe aber stets "alle Schwierigkeiten" überstanden. Das klingt, als ob er Kreide gefressen hätte. Aber Biden kennt Erdoğans wahre Absichten: Er will in ganz Nahost das Sagen haben, mischt in den Bürgerkriegen in Syrien, Libyen und im Irak mit, bekämpft die mit den USA verbündeten syrischen Kurden. Im Streit um die Rohstoffe im Mittelmeer schickt der Störenfried die türkische Flotte los. In Moskau kauft die Türkei das der Nato unheimliche Luftabwehrsystem S-400. Weder die Trump-USA noch die Europäische Union sind dieser Politik glaubwürdig entgegengetreten.

Die Türkei braucht die USA - aber umgekehrt gilt das Gleiche

Doch jetzt regiert in Washington ein neuer Präsident. Muss Erdoğan also offene Rechnungen begleichen? So einfach ist es nicht. Die Türkei braucht die USA, aber die USA und die Nato brauchen die Türkei ebenso. Verantwortlich für Ankaras Politik zeichnet auch nicht allein Erdoğan. Es war ein Admiral, der die Strategie vom "Blauen Vaterland" formuliert hat, einer Türkei also, die das Mittelmeer beherrscht. Uniformierte träumen von Pufferzonen im Irak und in Syrien, weil auf beiden Seiten der Grenze die PKK aktiv ist. Deshalb pflegt Erdoğan die osmanischen Wurzeln der Türkei, betreibt auch mit geschickter "Soft Power" Politik: Türkische TV-Serien sind Blockbuster in nahöstlichen Wohnzimmern .

Die Türkei war nie ein einfacher Partner, aber der Kalte Krieg hatte die Leitplanken zuverlässig ausgerichtet. Das Land war Nato-Sperrriegel gegenüber der UdSSR, kaufte amerikanische und europäische Waffen. Ankara sagte Nein zum politischen Islam, war EU-Aspirant. 2021 und ein paar verlorene Gewissheiten später gilt dies nicht mehr. Das nahöstliche Dauerchaos bedroht die Türkei, Russland betreibt eine offensive Politik in der Region, der Islamismus ist für Ankara trotz der "Gegenrevolutionen" neuer arabischer Diktatoren ebenso reizvoll wie gefährlich. Und jede Hoffnung auf einen EU-Beitritt der Türkei ist verflogen.

In diesem Umfeld muss sich die Türkei neu aufstellen. Ankara setzt dabei kaum noch auf Diplomatie und bewährte Bündnisse, sucht wechselnde Allianzen und militärische Stärke. Das ist nur in sehr überschaubarem Maß akzeptabel. Solange die Türkei Nato-Staat ist, darf sie einen Bündnispartner wie Griechenland nicht bedrohen, darf nicht mit russischen Waffen experimentieren. So einfach ist das. Wenn Ankara das nicht akzeptiert, wird es Zeit für spürbare Reaktionen, aus den USA und aus Europa.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: