Süddeutsche Zeitung

Aktuelles Lexikon:Erbschleicher

Wie man auf unmoralische oder widerrechtliche Weise in den Besitz einer Erbschaft gelangt.

Von Paul Munzinger

Riesige Vermögen, die auf den Konten vieler alter Menschen lagern - die westlichen Gesellschaften des frühen 21. Jahrhunderts bieten Erbschleichern und Erbschleicherinnen gute Bedingungen. Jenen Leuten also, so formuliert das der Duden, die "auf unmoralische oder widerrechtliche Weise in den Besitz einer Erbschaft" gelangen wollen. Wie das gelingen kann, hat ein Rechtsanwalt mal mit dem Dreiklang "anschleichen, abschirmen, abzocken" umschrieben. Der Erbschleicher gewinnt das Vertrauen eines alten Menschen, schneidet ihn vom Rest der Welt ab und entlockt ihm die Unterschriften unter die entscheidenden Dokumente. Ein großes Erbe gilt es in diesem Jahr auch in der Politik anzutreten: die Kanzlerschaft, die Angela Merkel als erste Amtsinhaberin überhaupt freiwillig wieder hergibt. Glaubt man Markus Söder, dann treibt auch hier ein Erbschleicher sein Unwesen: Olaf Scholz nämlich, der zwar für die SPD antritt, sich aber als legitimer Nachfolger der Kanzlerin zu inszenieren versucht. Wer Scholz am Sonntag im TV-Triell sah, mag sich gedacht haben: Ganz unrecht hat er ja nicht, der Söder. Andererseits hinkt seine Analogie an entscheidender Stelle: In einer Demokratie wird die Macht nicht vererbt, weshalb es weder rechtmäßige noch unrechtmäßige Erben gibt, ganz egal welcher Partei sie angehören. Es gibt nur gewählte.

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