Europa:Kritik von allen Seiten

Emmanuel Macron inszeniert sich als starker Mann Europas. Na und? Die Union kann Leidenschaft gebrauchen.

Kommentar von Josef Kelnberger

Es ist menschlich wie politisch verständlich, wenn Manfred Weber kein gutes Haar an Emmanuel Macron lässt. Erstens hat der französische Präsident verhindert, dass der CSU-Mann 2019 zum Präsidenten der EU-Kommission aufstieg. Zweitens gehört Macrons Rivalin Valérie Pécresse von den Républicains der Parteienfamilie Webers an, und der will ja bald zum Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) gewählt werden. Zu behaupten, mit einer Präsidentin Pécresse, die stark unter dem Druck der Rechten in ihrer Partei steht, werde die Europäische Union einen besseren Weg nehmen, ist jedoch gewagt. Man könnte sogar von Opportunismus sprechen. Schließlich macht Weber, EVP-Vorsitzender im Europaparlament, derzeit auch Stimmung für Familienmitglied Silvio Berlusconi, der italienischer Präsident werden will. Der konziliante Weber an der Seite von Bunga Bunga, das kommt doch sehr überraschend.

Im Europaparlament hatte am Dienstag jeder seine eigene Agenda

So hatten am Dienstag alle im Europaparlament ihre ganz eigene Agenda, als nach Macrons Rede die Kritik auf den französischen Präsidenten niederregnete. In einer besonders unbequemen Lage befinden sich die deutschen Grünen. In Berlin müssen sie als Regierungspartei Kompromisse mit Macron ausloten, in Brüssel stecken sie in der Oppositionsrolle fest und werfen ihm vor, er missbrauche die französische Ratspräsidentschaft, um die Atomkraft als "nachhaltige" Energieform durchzudrücken. Tatsache ist: Macron vertritt legitimerweise französische Interessen, und er weiß in der EU möglicherweise sogar die Mehrheit hinter sich.

Emmanuel Macron hat mit seiner Rede das Europaparlament durchaus für Wahlkampfzwecke genutzt und sich als starker Mann in Europa inszeniert. Das kann man für arrogant halten, aber andererseits: Die EU muss froh sein um einen französischen Präsidenten, der auf dieser Bühne ein leidenschaftliches Bekenntnis zur Europäischen Union ablegt. Das wird nach Lage der Dinge kein Nachfolger tun - und auch keine Nachfolgerin.

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