China:Das kollektive "Huch"

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Bei schwieriger Menschenrechtslage sollte man besser hinschauen als weggehen, findet Diess: Chinesische Polizisten vor einem Umerziehungslager in der Region Xinjiang. (Foto: Mark Schiefelbein/AP)

Erst verharmlosen, dann Entsetzen zeigen: Staatliche Verbrechen in Russland oder China lösen hierzulande immer dieselben Reaktions-Routinen aus. Eine bessere, stärkere Kritik muss möglich sein.

Kolumne von Carolin Emcke

In einem Tagebucheintrag vom 14. März 1941 notiert der deutsch-österreichische Philosoph und Dichter Günther Anders die Frage, "ob nicht vielleicht Geschichte immer schon das Kontinuum ihrer eigenen Selbstverfälschung" gewesen sei. Das würde das politische Theater erklären, das gerade aufgeführt wird, bei dem Menschenrechtsverletzungen, die lange bekannt und geduldet waren, auf einmal Entsetzen erzeugen. Mit performativer Reue wird nachträglich angeklagt, was vorher angeblich nicht zu erkennen gewesen sein soll. Dabei reihte sich in Russland jahrelang Unrecht an Unrecht, ein historisches Kontinuum der Verachtung von Demokratie und der Menschen darin, aber all das soll vorher nicht sichtbar, nicht begreifbar gewesen sein. Diese Selbstverfälschung kulminiert im öffentlichen Spektakel des kollektiven "Huch". Mit leicht tantiger Pikiertheit heißt es nun: Huch, dass Putin so skrupellos, so brutal, so völkerrechtswidrig agiert, das habe man ja gar nicht ahnen können.

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