Süddeutsche Zeitung

Eklat um Morales-Flug:Taktlos, undiplomatisch, peinlich

Lesezeit: 2 min

Frankreich und Spanien dementieren eine Luftraumsperrung, italienische Regierungskreise sollen sie bestätigt haben: Noch ist nicht geklärt, was es mit dem unfreiwilligen Zwischenstopp von Boliviens Präsident Morales auf sich hat. Klar aber ist: Sollten die Vorwürfe zutreffen, wäre das auf mehreren Ebenen ein Desaster.

Ein Kommentar von Johannes Kuhn

Evo Morales ist, mit Zwischenstopp auf Gran Canaria, inzwischen auf dem Heimweg. Doch der unfreiwillige Zwischenaufenthalt des bolivianischen Präsidenten in Wien hinterlässt beachtliche Nachwirkungen. Und Fragen, deren Antworten sich womöglich in den doppelten Böden verbergen, die zur Standardeinrichtung des diplomatischen Interieurs gehören.

Boliviens Regierung wirft Portugal, Frankreich, Spanien und Italien vor, der Präsidentenmaschine am Mittwochabend die Überflugrechte entzogen zu haben. Die Länder hätten, so will es die Morales-Delegation wissen, den NSA-Whistleblower Edward Snowden im Flugzeug auf dem Weg ins Exil vermutet.

Spanien dementiert die Überflug-Blockade in einer offiziellen Erklärung - allerdings will Madrid nicht verraten, ob es der bolivianischen Delegation für den Tankstopp auf den Kanaren die Durchsuchung des Fliegers zur Bedingung machte, wie es aus dem bolivianischen Lager heißt.

Ein Sprecher des französischen Außenministeriums erklärte: "Die Überflug-Genehmigung ist erteilt worden".* Das ist insofern richtig, da die Präsidentenmaschine nach dem Stopp in Österreich am Mittwoch tatsächlich über Frankreich weiterfliegen konnte; ob sich die Aussage auch auf den Flug am Dienstagabend bezieht, ist unklar. Mehr Informationen lässt sich die französische Regierung nicht entlocken, man wolle "die Kontroverse nicht weiter anheizen", heißt es - was gründlich misslungen sein dürfte.

Italiens Regierungskreise bestätigen Überflugverbot

Italien hat sich offiziell bislang nicht geäußert, allerdings bestätigten Regierungskreise der italienische Nachrichtenagentur Ansa das Verbot. Man sei dabei Portugal und Frankreich gefolgt. Aus Lissabon gibt es derzeit noch keine Reaktion.

Noch also dominieren die Widersprüche, doch klar ist: Sollten die vier EU-Staaten tatsächlich einem Staatsoberhaupt den Flugweg versperrt haben, um einen von den USA gesuchten Whistleblower nicht entkommen zu lassen, könnte man für den Vorgang nur drei Worte finden: taktlos, undiplomatisch, peinlich.

Man muss nicht den kleinen Diplomatenknigge gelesen haben, um die Größe des Holzhammers zu erfassen, den die Blockade eines Regierungsfluges darstellt. Sie ist eine öffentliche Misstrauensbekundung gegen ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt, wie sie selbst Diktatoren und manche politische Geldkoffer-Träger nur selten erleben.

Sollte es wirklich zutreffen, dass spanische Behörden eine Durchsuchung des Präsidenten-Flugzeugs verlangten, wäre das die Krönung des diplomatischen Affronts: Noch nicht einmal Interpol fahndet nach Snowden, eine Staatsmaschine genießt unabhängig ihres Standorts das Recht auf Unversehrtheit. Folgerichtig, dass Bolivien bei den Vereinten Nationen Klage einreichen will.

Ausgerechnet die ehemaligen Kolonialmächte

Historisch betrachtet wäre es eine bittere Pointe, wenn mit Portugal, Frankreich und Spanien gerade die drei einst größten Kolonialmächte des europäischen Kontinents einen lateinamerikanischen Staatschef behandeln, als wären Aufstieg und Emanzipation der Region an ihnen vorbeigegangen, oder, schlimmer noch: als wäre dies ihnen ein Dorn im Auge.

Noch verheerender aber ist ein anderer Eindruck: Dass sich EU-Staaten zu Handlangern der USA machen lassen, um ein Exempel zu statuieren. Denn die Botschaft, die sich aus dem Flugverbot ablesen lässt, lautet: Egal, was Edward Snowden tut - der lange Arm der USA wird alles versuchen, um ihn zu ergreifen.

Man mag sich nicht vorstellen, dass sich EU-Länder derart instrumentalisieren lassen und damit die europäischen - und im Falle von Portugal und Spanien auch wirtschaftlich äußerst wichtigen - Beziehungen zu Lateinamerika gefährden. Dass sie in vorauseilendem Gehorsam mithelfen, den Mann festzusetzen, der die amerikanischen Spionagemöglichkeiten gegen ihre eigenen Bürger enttarnt hat.

Man mag es sich nicht vorstellen. Und doch könnte genau das die Realität im Jahr 2013 sein. Es wäre die nächste Enthüllung des Edward Snowden. Die vier betroffenen EU-Staaten haben einiges zu erklären.*

*Update, 4. Juli: Die französische Regierung hat sich inzwischen bei Bolivien entschuldigt.

Linktipp: Der Standard hat die generelle Situation bei Überflugsrechten und die Rolle der Nato bei dem Vorfall beschrieben.

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