Süddeutsche Zeitung

Ostdeutschland:Andreas Bausewein: Bürgermeister und Einheitsgastgeber

Der beliebte Rathauschef von Erfurt richtet an diesem Montag die Wiedervereinigungsfeierlichkeiten aus

Von Iris Mayer

Natürlich ist ein Oberbürgermeister schon von Amts wegen Lokalpatriot, also muss Andreas Bausewein ja sagen, Erfurt sei die schönste Großstadt im ganzen Land. Nach diesem Wochenende, so wünscht sich das der 49-Jährige, sollen ihm mindestens 120 000 begeisterte Besucher zustimmen. Nach 2004 ist die thüringische Landeshauptstadt zum zweiten Mal Ausrichter der Feier zum Tag der Deutschen Einheit, und Bausewein findet, "Erfurt ist ein Paradebeispiel, wie sich eine Stadt im Osten nach der Wende weiterentwickeln kann". Mit viel Liebe, Aufwand und Geld wurde die größte Stadt Thüringens (214 000 Einwohner) seit 1990 saniert, der historische Altstadtkern mit Dom, Krämerbrücke und Petersberg strahlt längst über den Freistaat hinaus.

Von Samstag bis Montag soll ein fröhliches Bürgerfest gefeiert werden, alle 16 Bundesländer präsentieren sich, dazu wie jedes Jahr die Verfassungsorgane. Erfurt will an seine Mutigen des Wendeherbstes erinnern, den Sturm auf die Stasi-Zentrale und die Menschenkette rund um die Altstadt, mit der der bereits beschlossene Abriss eines Großteils der historischen Substanz in letzter Minute verhindert wurde. Bausewein wird an diesem Wochenende "der Typ sein, der gelegentlich mit der Amtskette rumrennt". Dass für den 3. Oktober jenseits von Bürgerfest und Staatsakt mehrere Demonstrationen angemeldet sind, sieht der SPD-Politiker gelassen: "Wir leben glücklicherweise in einer Demokratie, da dürfen Leute demonstrieren." Die friedliche Revolution 1989 will er sich auch nicht "von irgendwelchen Rechtsauslegern und Populisten" kaputtmachen lassen.

Bausewein war damals 16 Jahre alt und hatte im September eine Lehre zum Elektroinstallateur angefangen. Erstes Unterrichtsfach: vormilitärische Ausbildung. Schießen, durch den Wald robben, Verhalten bei Atomangriff - so was. Acht Wochen später war die Welt eine andere, Bausewein klingt immer noch euphorisch, wenn er sich erinnert: "Man ging morgens zu Hause los und wenn man abends heimkam, konnte schon wieder alles neu sein."

"Wenn ich daran denke, habe ich Wasser in den Augen."

Den Mauerfall am 9. November 1989 hätte er dabei beinah verschlafen. Es war ein Donnerstag, in Erfurt war Demo, danach verschwand er zum Lernen für eine Klassenarbeit in seinem Zimmer, so erzählt er es. "Ich bin darüber eingeschlafen, meine Mutter hat mich geweckt und wir haben die Bilder aus Berlin im Fernsehen gesehen." Er sei kein sentimentaler Mensch, "aber wenn ich daran denke, habe ich Wasser in den Augen". Die Klassenarbeit am nächsten Tag fiel aus. Schaut er heute zurück, ist der dreifache Vater noch immer dankbar für "das unwahrscheinliche Glück, was wir in den letzten Jahrzehnten gehabt haben".

Er trat 1990 in die SPD ein, wurde Landesvorsitzender der Jusos, studierte Sozialpädagogik. 2006 ließ er sich zum ersten Mal als OB-Kandidat in Erfurt aufstellen und eroberte das Rathaus. 2012 und 2018 bestätigten ihn die Erfurter im Amt, bei den Bürgern war er stets beliebter als bei den Genossen. Aber auch in der SPD machte Bausewein Karriere und folgte 2014 als Landeschef dem glücklosen Christoph Matschie. Schon früh bekannte er sich zu Rot-Rot-Grün. Bundesweit machte er 2015 Schlagzeilen, als er in einem offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) die Aussetzung der Schulpflicht für Kinder von Asylbewerbern forderte. Dass er in einem Interview sagte, seine Hauptaufgabe sei OB von Erfurt, "die SPD ist mein Hobby, das ich nebenher mache", nahmen ihm viele Parteifreunde übel. 2017 warf der Hobbyvorsitzende hin.

Große Pläne aber hat Bausewein noch immer. Am liebsten hätte er nach der Bundesgartenschau 2021 auch die Buga 2026 ausgerichtet. Doch der Stadtrat lehnte ab: zu groß die Risiken, zu kurz die Planungszeit. Und Bausewein? Will jetzt die Internationale Gartenbauausstellung 2037 nach Erfurt holen.

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