Vertreibung:Die Milch der Traurigkeit

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(Foto: mauritius images)

Olivier Bancoult musste seine Heimat im Indischen Ozean vor mehr als 50 Jahren verlassen, weil die USA dort eine Militärbasis errichteten. Jetzt kehrte er zurück, aber nur für kurze Zeit.

Von Arne Perras

Olivier Bancoult hat diesen Moment lange herbeigesehnt. Er springt vom Boot auf den Strand, fällt auf die Knie und küsst den Sand. Heimkehr nach Peros Banhos im Indischen Ozean. Die Insel gehört zum Chagos-Archipel, genauso wie die geheimnisvolle US-Militärbasis Diego Garcia, mit der Bancoults Probleme begannen.

Bancoult, 58, wurde hier geboren, als die Chagossianer noch ein Zuhause hatten. Lange her. Die Häuser sind verfallen und vom Urwald überwuchert. Dass Bancoult, der seine Heimat als kleiner Junge verlassen musste, Mitte Februar 2022 noch mal hier landen würde, ohne britische Polizeiaufsicht, war nie sicher. "Ein großer Moment", sagt er. Doch der Besuch ist kurz. Wird er jemals bleiben dürfen?

Die Amerikaner suchten einen Platz für Bomber und ihre Atom-U-Boote

Die Landung am Strand ist in einem Video der BBC zu sehen, der Sender begleitet ein Schiff, das der Staat Mauritius losgeschickt hat. Er will seinen Anspruch auf Chagos bekräftigen und fordert von der alten Kolonialmacht Großbritannien, die Inseln zurückzugeben. Das wollen auch Bancoult und vier weitere ehemalige Bewohner, die auf der Bleu De Nîmes mitfahren. Sie alle wurden einst verbannt von hier, als die Briten einen Teil von Chagos - das Atoll Diego Garcia - Ende der 1960er-Jahre an die USA verpachteten. Washington suchte eine Militärbasis, seitdem bietet der Ort Platz für Bomber und Atom-U-Boote. Aber nicht mehr für Bewohner wie Bancoult, der von einer Nachbarinsel stammt.

Verbannt für immer? Bancoult kennt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, in der es heißt, dass niemand dauerhaft ins Exil gezwungen werden darf. Doch ihm und all den anderen ist das passiert. Es begann mit einem Trick. Zwar schickte London Mauritius in die Unabhängigkeit, aber den zugehörigen Chagos-Archipel haben die Briten behalten. Diego Garcia übergaben sie den USA. Und etwa 2000 Chagossianer mussten weg.

Man zwängte sie in Frachträume von Schiffen, die zuvor Guano geladen hatten: stinkenden Vogelschiss, den man als Dünger verkaufte. Als die Verbannten an Land kamen, ging es ihnen kaum besser. Sie lebten fortan in den Slums von Port Louis, ohne Strom, Wasser und Geld. "In Diego war ich wie ein schöner Vogel am Himmel", sangen die Entwurzelten. "Seit wir in Mauritius leben, ist unser Dasein wertlos."

Die Entschädigungen reichten nicht mal, um die Schulden zu bezahlen

Bancoults Leben erzählt von einem zähen Kampf gegen Arroganz, Manipulation und Rassismus. Er weiß um einen Vermerk in den britischen Akten, der die Inselbewohner 1966 als "ein paar Tarzane und Freitage" verhöhnte; London wollte nicht mal zugeben, dass es Einheimische auf den Inseln gab.

Die Verbannten litten schlimme Not, nicht alle hielten durch. Olivier verlor den Vater. Zwei Brüder soffen sich zu Tode, einem versagte das Herz, seine Schwester beging Suizid. Er sah, wie stillende Mütter verzweifelten, weil ihre Kinder starben. Es muss die Milch der Traurigkeit gewesen sein, sagten die Frauen.

Was die Betroffenen London an Entschädigungen abringen konnten, half oft wenig; manchmal reichte es nicht mal, um die Schulden abzuzahlen. Bancoult wuchs im Elend auf, aber er ging zur Schule, lernte Elektriker. Und er übernahm die Leitung der Chagos Refugees Group, die seine Mutter gegründet hatte. Er traf Nelson Mandela. Und er zog vor Gericht. Im Jahr 2000 sah man Bancoult, wie er die Finger zum Victory-Zeichen formte. Der British High Court erklärte ihre Umsiedlung für unrechtmäßig. Das House of Lords kippte das Urteil wieder. Und auch ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofes sowie eine UN-Resolution zugunsten von Mauritius bewegen London kaum.

Immerhin: Die Briten haben das Schiff mit Bancoult an Bord nicht gestoppt. Er ist glücklich, die Gräber der Ahnen zu besuchen. Aber er verspürt auch Wut, dass sie nicht bleiben dürfen. "Ich habe einen Traum", zitierte er einmal den Bürgerrechtler Martin Luther King. "Eines Tages", sagt Bancoult, "werden Chagossianer wieder auf Chagos leben."

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