Die Linke arbeitet ihre existenzbedrohende Wahlniederlage im Saarland auf und stellt dabei fest: Zerstrittene Parteien werden leider nicht gewählt. Das ist sicherlich nicht ganz falsch, aber es ist auch nicht ganz neu. Zu exakt demselben Ergebnis kam die Führungsriege der Linken auch schon nach den verheerenden Stimmenverlusten bei der Bundestagswahl. Genau wie nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen oder der Europawahl. Stets lautete die Erkenntnis: Wir hätten vielleicht nicht so viel streiten sollen. Nur um sich dann jedes Mal wieder munter weiter zu zoffen.
Mit Blick ins Saarland wird jetzt vieles auf den denkbar ungünstigen Zeitpunkt geschoben, zu dem der Gründervater Oskar Lafontaine seinen Parteiaustritt verkündet hatte. Bei der Bundestagswahl war es das denkbar ungünstige Erscheinungsdatum eines Sahra-Wagenknecht-Buches. Sicherlich hat das streitbare Ehepaar Wagenknecht/Lafontaine zuletzt nicht unbedingt beim Ausschöpfen aller Wählerpotenziale geholfen. Wenn es jedoch nur an diesen beiden läge, dann wäre das Problem der Linken zwar immer noch groß genug, aber wenigstens überschaubar.
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Tatsächlich hat ihre ausgeprägte Streitkultur vor allem strukturelle Gründe. Als eine Fusionspartei aus der ostdeutschen PDS und der westdeutschen WASG, die ihrerseits ein ziemlich unübersichtliches Fusionsgebilde war, vereint die Linke unter ihrem Dach fast so viele Strömungen, Flügel und Lager, wie sie noch Sitze im Bundestag hat. Ein ehemaliger Parteivorsitzender beschrieb das Wir-Gefühl in der Fraktion einmal so: 69 Abgeordnete, die durch den gemeinsamen Wunsch zusammengehalten werden, dem Parlament anzugehören. Das ist immer noch ziemlich treffend. Bloß, dass es seit der letzten Wahl halt nur noch 39 Abgeordnete sind.
Selbstzerfleischung geht auch ohne Oskar Lafontaine
Das eigentliche Problem dieser Partei ist aber gar nicht einmal der inhaltliche Dissens, sondern der Versuch, ihn zu unterdrücken. Die Linke streitet nicht zu viel, sondern über die falschen Dinge. Hinter den meisten Selbstzerfleischungsprozessen dieser Partei stecken nicht Überzeugungen, sondern Machtfragen. Zuletzt auch wieder im Saarland, wo das Zerwürfnis mit Lafontaine wegen der Listenaufstellung zur Bundestagswahl ausgebrochen war. Die Bundestagsfraktion wiederum sortiert sich längst nicht mehr nach Reformern, Antikapitalistinnen und Gewerkschaftsbewegten, sondern nach strategischen Bündnissen. Nur so ist es zu erklären, dass eine eigentlich isolierte Splittergruppe, die das Übel in der Welt vor allem auf die Nato zurückführt, weiterhin das außenpolitische Bild der Partei prägt. Sie wird für den Machterhalt der Fraktionsspitze um Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali gebraucht.
Was dabei auf der Strecke bleibt, ist der gesunde politische Streit. Die Linke sollte endlich offen mit sich ausdiskutieren, wer sie eigentlich sein will: eine Sozialstaatspartei mit grüner Note oder eine Grünenvariante mit Ostkompetenz. Sie müsste darüber streiten, ob sie die Nato jetzt eigentlich auflösen oder reformieren möchte. Ob sie gegen alle Auslandseinsätze ist oder nur gegen Kriegseinsätze. Ob sie mit der Arbeiterklasse vor allem den wohnungssuchenden Studentenjobber in der Großstadt meint, die Pendlerin auf dem Lande oder die Erntehelfer mit Migrationshintergrund. Das alles müsste breit debattiert, dann aber auch mal entschieden und festgeschrieben werden. Eine Partei, die dieser Art von Streit aus dem Weg geht, bietet keinen Anlass, sie anzukreuzen.