Demonstrationen:Deutschland blau-gelb

Mit ihren Beschlüssen hat die Bundesregierung auch den Ruf der Zivilgesellschaft gerettet.

Von Detlef Esslinger

Es war wenig erstaunlich, dass in den Tagen vor dem Krieg kaum Demonstrationen gegen Putin in Deutschland zustande kamen. Und ebenso ist es wenig erstaunlich, dass es sie nun gibt. Was mobilisiert Menschen, auf die Straße zu gehen? Entweder, dass sie einen sinnvollen Adressaten für ihren Protest haben, einen, der ihre Rufe irgendwie beachten muss. Dazu gehört die Regierung des eigenen Landes; der Mann im Kreml hingegen nähme deutsche Demonstranten nicht einmal wahr. Oder es mobilisiert sie der inzwischen getätigte Angriff - und die Furcht vor dem, was noch folgen mag. Viele Demonstrationen wenden sich nun zwar vordergründig gegen Putin, nimmt man die Parolen und Transparente zum Maßstab. Aber mindestens ebenso sehr dienen sie einem anderen Zweck: dem wechselseitigen Spenden von Trost und Zuversicht. Im Zustand des Schocks haben Menschen ein Bedürfnis nach Gemeinschaft. Daher stehen die Demos, die es jetzt gibt, nicht im Widerspruch zu denen, die es vorher nicht gab.

Es regnete in den vergangenen Tagen aus der deutschen Zivilgesellschaft lauter Zeichen, die wohl solidarisch gemeint waren. Brandenburger Tor in Blau-Gelb anstrahlen, Facebook-Profile mit Friedenstauben ausstatten oder einem in München wirkenden Dirigenten (aber mit Lebensmittelpunkt in Russland) die öffentliche Distanzierung von Putin abverlangen: Mit solchen Dingen ist man in Deutschland stets schnell zur Hand. Doch zumindest bis Samstagabend handelte es sich um Gesten, die zwar wahrscheinlich alle von Herzen kamen - und zugleich für die Gestikulierenden risiko-, für die Ukrainer jedoch nutzlos waren. Eine sehr neue Form von Selbstbespiegelung; nicht in der Absicht, wohl aber im Ergebnis.

Was die Bundesregierung nun zu Waffenlieferungen und Swift beschlossen hat, war daher auch unter diesem Aspekt zwingend. Manchmal verhindern nur Taten, dass Worte peinlich klingen. Und manchmal bewirken diese Taten, dass Worte nun wieder wärmen können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: