Deutschland:Merkels bitteres Eingeständnis

Zu langsam, zu mühsam, zu bürokratisch: Die Kanzlerin kritisiert ungewohnt offen den Zustand Deutschlands. Die entscheidende Frage aber ist: Hätte sie in fast 16 Jahren an der Regierungsspitze daran nichts ändern können?

Von Stefan Braun

Man kann das, was Angela Merkel auf dem Weltwirtschaftsforum gemacht hat, als ehrliche Bestandsaufnahme bezeichnen. Zu lang, zu mühsam, zu bürokratisch seien in Deutschland viele Prozesse. Außerdem habe die Pandemie offengelegt, dass es bei der Digitalisierung mächtig hapert. Deshalb müsse man "dringend nacharbeiten". Falsch ist daran nichts; überraschend ist die Analyse auch nicht. Interessant ist vor allem der Blick, den Merkel auf sich selbst lenkt.

Denn so richtig ihre Beschreibung ist, so sehr stellt sich nach diesem Auftritt die Frage, warum Merkel nach mehr als 15 Jahren im Kanzleramt nicht mit einem besseren Zustand des Landes in ihren politischen Herbst schreitet. Natürlich tragen die Bundesländer etwa bei der Bildung eine Mitverantwortung. Trotzdem liegt die erste Bildungsreise der Kanzlerin durch Deutschland sage und schreibe zwölf Jahre zurück; der erste Digitalgipfel ist nicht viel jünger. Und dass zu viel Bürokratie das Land plagt, ist keine Neuigkeit. Hätte Merkel daran wirklich nichts ändern können?

Wer darauf eine Antwort sucht, kommt zu einem bitteren Ergebnis: Merkel hat es kaum versucht. Vor allem hat sie das, was sie jetzt auf internationaler Bühne aussprach, in Deutschland selbst so gut wie nie als Begründung benutzt, um Änderungen anzustoßen. Schade eigentlich und keine schöne Bilanz nach so vielen Jahren.

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