Coronavirus:Die Wette der Dänen

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Dänemark tritt am 10. September offiziell ins postpandemische Zeitalter ein und setzt ganz aufs Impfen. Die offene Frage aber ist, ob das Virus mitspielt.

Kommentar von Kai Strittmatter

Alles offen: In Dänemark, hier ein Café in Kopenhagen, sind Gesichtsmasken schon länger nicht mehr Pflicht. Künftig ist auch bei Großveranstaltungen nicht mal mehr ein Corona-Pass nötig. (Foto: Francis Joseph Dean/Dean Picture via www.imago-images)

Die Dänen schaffen mal einfach so für sich die Corona-Pandemie ab, wie kann das denn sein? Während das Bangen vor der vierten Welle Deutschland im Griff hält, tritt Dänemark am 10. September ganz offiziell ins postpandemische Zeitalter ein: keine Covid-Beschränkungen soll es dann mehr geben, nirgends.

Die Dänen waren schon mehrmals die Ersten während dieser Pandemie: Sie schritten voran in einen strengen Lockdown im März vergangenen Jahres. Sie waren aber auch Vorreiter bei den Öffnungen, ließen ihre Kinder länger in der Schule als die anderen, verzichteten schon früh aufs Maskentragen. Vieles davon war mutig, Kritiker sagten: riskant - und vieles hat tatsächlich funktioniert. Die dänische Regierung handelte oft entschlossener und schneller als andere, so machte sie ihr Land zuerst zum Europameister im Testen, und nun zum Europameister im Impfen: In keinem anderen Land sind so viele Menschen vollständig geimpft wie in Dänemark, bald 72 Prozent der Bevölkerung. Die Regierung geht davon aus, dass Dänemark am Ende eine Impfquote von 90 Prozent erreicht.

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Dänemark ist klein, das ist ein Vorteil, aber es ist nicht der wichtigste. Die nordischen Wohlfahrtsstaaten sind Vertrauensgesellschaften. Die Bürger hier haben großes Vertrauen - ineinander, in ihren Staat und in seine Institutionen. Covid-Leugner und Impfgegner sind hier nur eine kleine Randgruppe. Hinzu kommt: Im dänischen Parlamentarismus gibt es eine Tradition der Kooperation zwischen Regierung und Opposition. Bei den wichtigen Corona-Entscheidungen zogen die Parteien an einem Strang, ein großer Kontrast zum Hickhack im deutschen Föderalismus.

Eine Zeitung nennt das "ein hervorragendes Rezept für eine Infektionsbombe"

Ein Übermaß an Vertrauen ist beileibe keine Garantie für Erfolg, es kann auch in die Irre führen. Ein Beispiel hierfür ist das oft irrlichternde Corona-Management des Nachbarn Schweden, wo die Politik sich tatenlos hinter der Gesundheitsbürokratie versteckte. In Dänemark aber taten sich entschlossene Politik und gesunder Menschenverstand auf bislang fruchtbare Weise zusammen, die Zahlen belegen das: Die Corona-Sterbequote pro einer Million Menschen ist in Deutschland (1102) heute zweieinhalb Mal, und in Schweden (1440) gar mehr als dreimal so hoch wie in Dänemark (444).

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Es ist allerdings eine Wette, die die dänische Politik nun eingeht - und es ist eine offene Frage, ob sie auch diesmal gewinnt. Ob das Virus nicht doch den Impfschutz austrickst, durch neue Mutanten wieder größere Verheerungen anrichtet, gerade im Winter. Dänemark ist besser gerüstet als die allermeisten Länder, und doch hat auch sein Modell offene Flanken: eine noch geringe Impfquote in Gruppen mit Migrationshintergrund, aber auch bei den Jungen. Im September öffnet auch das Nachtleben wieder: volle Diskotheken, in denen jeder Dritte ungeimpft ist, volle Schulen, in denen die Kleinen noch gar keine Impfung haben - die Zeitung Politiken nennt das "ein hervorragendes Rezept für eine Infektionsbombe".

Wie nachhaltig sind die Impfstoffe? Wie viele junge Menschen werden dann auf den Corona-Stationen landen? Werden Krankheit und Tod auf einem Niveau bleiben, das die Gesellschaft für akzeptabel befindet? Wir kennen die Antworten auf diese Fragen noch nicht, aber sie werden am Ende entscheiden, ob Dänemark nicht doch eine erneute Kehrtwende vor sich hat und noch einmal in die Schlacht gegen das Virus ziehen muss.

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