Süddeutsche Zeitung

Pandemie:Die Lockerungen sind absolut richtig

Die Inzidenzen erreichen neue Höhen, das Coronavirus ist längst nicht besiegt - und ausgerechnet jetzt fallen die Schutzmaßnahmen? Unbedingt, denn es ist nicht Aufgabe des Staates, das allgemeine Lebensrisiko zu minimieren.

Kommentar von Angelika Slavik

An diesem Wochenende sollen die Corona-Maßnahmen fast alle fallen - bei wahnsinnig hohen Inzidenzen. Schaut man auf die Zahlen, ist es schon nachvollziehbar, warum viele Menschen Lockerungen ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt für verdammt schlechtes Timing halten. Und es stimmt ja auch: Das Risiko, sich in Innenräumen mit vielen Menschen ohne Maske mit Corona anzustecken, war seit Beginn der Pandemie selten so hoch wie jetzt.

Sollte man die geplanten Lockerungen nun also absagen? Lieber noch ein bisschen weitermachen wie bisher? Nein, das sollte man nicht.

Die Lage ist inzwischen eine komplett andere: Jeder kann sich impfen lassen

Grundrechte einzuschränken, ist aus gutem Grund ein Tabubruch, es muss die absolute Ausnahme sein. Vor allem am Anfang dieser Pandemie war diese Ausnahme vollkommen gerechtfertigt: Als die Wissenschaft wenig über das Virus wusste, als es keine Impfungen gab, als zwischenzeitlich sogar die Masken knapp waren und als vor allem ältere Menschen in den Pflegeheimen schutzlos waren, da waren rigide Gegenmaßnahmen angemessen.

Heute aber ist die Lage eine andere. Bis auf wenige medizinische Ausnahmen hat jede und jeder die Möglichkeit, sich impfen zu lassen. Das individuelle Risiko, schwer zu erkranken oder an Corona zu sterben, sinkt damit deutlich. Und es lässt sich noch weiter reduzieren - zum Beispiel durch das Tragen einer Maske in Innenräumen. Denn, das ist der entscheidende Punkt: Das Ende der vom Staat angeordneten Maskenpflicht bedeutet ja kein Maskenverbot. Es heißt nur, dass die Verantwortung für die eigene Gesundheit jetzt wieder bei jedem und jeder Einzelnen liegt. So wie der Umgang mit vielen anderen Risiken auch. Willkommen in der Welt der Erwachsenen: Die Minimierung des allgemeinen Lebensrisikos ist keine staatliche Aufgabe.

Natürlich, die Umstände können sich auch wieder ändern

Dieses Argument wirkt umso schwerer, als zumindest bei den aktuell grassierenden Varianten die Impfung nicht davor schützt, andere anzustecken. Wie man mit dem Risikofaktor Corona umgeht, wird also immer stärker eine individuelle Entscheidung. Das heißt nicht, dass sich die Umstände nicht auch wieder ändern könnten. Wenn die Belastung in den Krankenhäusern zu hoch wird, dann müssen wieder Regeln her. Wenn eine neue Mutante die Spielregeln verändert, vielleicht auch. Und klar, besonders sensible Bereiche müssen geschützt bleiben.

Aber wir werden mit dieser Pandemie noch eine ganze Zeit lang leben müssen, und dieses Leben kann nicht nur aus staatlich angeordneten Verboten bestehen. Deshalb gehört zu einem eigenverantwortlichen Leben nun eben auch die Entscheidung, welche Vorsichtsmaßnahmen jeder treffen will und welche nicht. Das kann nicht dauerhaft die Aufgabe eines Staates sein, der an verantwortungsfähige Bürgerinnen und Bürger glaubt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5547867
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/kus
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.