Pandemie:Heikles Affentheater

Intensivmediziner erwartet zunehmende Verschiebung planbarer OPs

Die Lage ist ernster denn je: Ein Pfleger versorgt auf der Intensivstation des Krankenhauses Bethel eine an Covid-19 erkrankte Patientin.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Das Land steckt tiefer in einer epidemischen Notlage als je zuvor. Alle wissen das. Dass man den Corona-Ausnahmezustand ausgerechnet jetzt abschafft, ist sachlich nicht zu begründen - außer mit der Eitelkeit der politischen Akteure.

Kommentar von Angelika Slavik

Politik ist ein hartes Geschäft, sie verlangt von ihren Akteuren stets zwei Dinge gleichzeitig: etwas (hoffentlich) Sinnvolles zu tun - und dabei auch noch gut auszusehen. Das geht öfters mal schwer zusammen, aber selten entsteht dabei so ein Affentheater wie aktuell um die Abschaffung der epidemischen Notlage.

Kleiner Rückblick: Vor gut drei Wochen verkündet der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, es sei an der Zeit, den Ausnahmezustand auslaufen zu lassen. Er begründet das mit dem Fortschritt beim Impfen und dem Umstand, dass das Risiko einer Überlastung des Gesundheitssystems nur mehr "moderat" sei. Kurz darauf finden die Ampel-Parteien das auch. Die Abschaffung der Corona-Notlage wird ihr erstes Gesetzesvorhaben.

Dummerweise ist das Virus schneller und brutaler zurück, als die Politik sich das vorgestellt hat. Die Inzidenzen jagen von Rekord zu Rekord, immer mehr Intensivstationen arbeiten am Anschlag. Das Land ist, ganz ohne Zweifel, wirklich in einer epidemischen Notlage, schlimmer als je zuvor. Natürlich könnte man nun einfach sagen, sorry, damit haben wir so nicht gerechnet, die epidemische Notlage bleibt. Tut aber niemand - wie sieht denn das aus?

Man könnte es als Kabarett begreifen, bloß: Ob die epidemische Notlage bleibt, ist nicht egal

Stattdessen kann man jetzt zusehen, wie die Abschaffungsbefürworter versuchen, die Lage umzudeuten. Spahn murmelte vergangene Woche zunächst, er habe sich wohl missverständlich ausgedrückt, am Freitag verstieg er sich gar zu der Behauptung, er habe das Auslaufen überhaupt nie gefordert, sondern nur "beschrieben, was die Signale aus dem Parlament waren". Die Ampel-Parteien wiederum sagen jetzt, es sei ihnen immer nur um eine rechtliche Frage gegangen, die Macht solle zurück ins Parlament - aber niemals, niemals habe man signalisieren wollen, die Lage hätte sich entspannt.

Man könnte nun einfach die kabarettistische Qualität dieses Schauspiels würdigen, bloß: Ob die epidemische Notlage bleibt oder nicht, ist eben nicht egal. Denn die Übergangsregelung, die die Ampel-Parteien beschließen wollen, gibt den Ländern keineswegs die gleichen Möglichkeiten, auf das Pandemiegeschehen zu reagieren, wie der Zustand der epidemischen Notlage. Der Maßnahmenkatalog, aus dem sie künftig auswählen können, was sie tun möchten, ist deutlich knapper. Es gibt dann zum Beispiel keinen allgemeinen Lockdown mehr. Stattdessen sollen die Länder mit gelinderen Mitteln auskommen, sie können etwa nach eigenem Ermessen eine 2-G-Regel für bestimmte Bereiche durchsetzen oder eine Testpflicht in den Pflegeheimen.

Niemand, der einigermaßen bei Trost ist, will einen Lockdown. Aber die wichtigste Aufgabe der Politik in der Pandemie ist, die Notfallversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. In einzelnen Landkreisen liegt die Inzidenz über 1000. Viele Intensivstationen sind jetzt schon voll, obwohl das Schlimmste erst noch kommt. Da muss man schon fragen, ob es schlau ist, sich des härtesten, aber eben auch effizientesten Mittels im Kampf gegen die Pandemie bloß aus Eitelkeit zu berauben. Die Antwort lautet: Das ist unglaublich kurzsichtig - und es ist das falsche Signal zur falschen Zeit.

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