Hätte er es nicht so klagend vorgetragen, man hätte dem Lehrerverband zu den Zahlen gratulieren mögen. Knapp drei Prozent aller Schüler sind derzeit in Quarantäne, schätzt der Verband. Das heißt: 97 Prozent gehen trotz Corona-Welle zur Schule. Bravo, liebe Lehrer, möchte man sagen. Die Schulen haben dem Virus ein Schnippchen geschlagen, auch weil die Lehrer Schüler beharrlich auf getrennte Schulhöfe eskortierten. Gut so.
Diesen Erfolg gilt es zu verteidigen, gerade jetzt, wo die Infektionszahlen steigen. Warum also stellt ausgerechnet der Lehrerverband die Situation infrage? Die Schulen könnten wegen immer neuer Quarantänen kaum noch planen, klagt er. Und fordert, Klassen flexibel auch mal zu teilen. Aus epidemiologischer Sicht ist das noch nicht zwingend, aber aus pädagogischer Sicht verheerend. Denn geteilte Klassen, das heißt: nur halb so viel Zeit mit Lehrern und Mitschülern, halb so viel Zeit, um Fragen zu stellen und Sorgen zu teilen.
Es stimmt schon. Schulen wird derzeit viel abverlangt. Täglich müssen sie damit rechnen, dass Klassen geschlossen werden und Lehrer ausfallen. Anders als in der ersten Welle setzt manch eine Schule den Unterricht aber inzwischen recht leichtfüßig per Videokonferenz fort. Im Wechselmodell ist genau das nicht möglich. Da muss der Lehrer den halben Teil der Klasse unterrichten und dem anderen zusätzlich Aufgaben stellen. Und wo noch immer Kompetenz oder Computer fehlen, ist die Schule nach einer Quarantäne zumindest nach zwei Wochen wieder auf.
Schulen sind selten Superspreading-Events
Bleibt noch die Angst vor Ansteckung. Manche Eltern und auch Lehrer wünschen sich deshalb geteilte Klassen. Studien zeigen recht einmütig, dass Schulen selten zu Superspreading-Events werden, obwohl an einem normalen Gymnasium täglich 1000 Schüler zusammenkommen. Selbst Lehrer stecken sich nicht häufiger an als andere Menschen ihrer Altersgruppe, wie es gerade in Baden-Württemberg ermittelt wurde.
Trotzdem ist die Gefahr in der Klasse natürlich höher als zu Hause und sie steigt, je mehr sich die Seuche ausbreitet. Lässt sich dieses Risiko anders eindämmen? Österreich etwa schickt mobile Teams mit 300 000 Schnelltests in die Schulen. Fiebert das Kind nur oder hat es etwa Corona? Die Antwort kommt dann vielleicht schneller, als sich das Virus im Pausenhof ausbreitet. Die Schule kann offen bleiben.
Das aber sollte das Ziel sein. Es geht nicht nur um die Eltern, die bei dem Gedanken, wieder wochenweise Ersatzlehrer spielen zu dürfen, Schweißausbrüche bekommen. Es geht vor allem um die Kinder selbst. Derzeit schleppen sie extra Pullis und Decken in eisige Klassenzimmer und nehmen auch die Maske weitgehend klaglos hin. Alles besser als ein neuer Freitag, der 13. Das war der Tag im März, an dem die bundesweite Schulschließung beschlossen wurde.
Wechselunterricht kann nur eine Notlösung sein
Zumindest die größeren Kinder kämen mit dem Lernen zu Hause gut zurecht, heißt es. Gilt das auch für die 13-Jährige, die im ersten Lockdown über Monate allein zu Hause war, weil die Mutter als Erzieherin gearbeitet hat und eben nicht als Ersatzlehrerin zu Hause? Diese Kinder haben auch viel Zeit im Internet verbracht, aber selten auf der Schulseite. Ticks und Ängste haben in dieser Zeit zugenommen, genauso wie Übergewicht.
Nun gibt es wohl die erste Schülergeneration, die sich nicht Hitzefrei und Schneesturm wünscht, sondern einen ganz normalen Schulalltag. Schule ist eben mehr als nur lernen, keiner weiß das besser als sie. Wechselunterricht ist besser als kein Unterricht. Es ist aber eben auch lange nicht so gut wie normaler Unterricht. Der sollte das Ziel bleiben. So lange wie möglich.