Corona-Regeln:Ein schwerer Fehler behoben - ein neuer begangen

Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin

Auf dem Weg, die Beschlüsse von Bund und Ländern zu verkünden: Kanzlerin Angela Merkel, Finanzminister Olaf Scholz und die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und Michael Müller (von links).

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen ist überfällig. Dennoch werden die Beschlüsse von Bund und Ländern die vierte Welle nicht so rasch brechen - denn einer Notbremse hat man sich beraubt.

Kommentar von Berit Uhlmann

Endlich. Endlich haben sich Bund und Länder in ihren neuen Corona-Regeln zu einer Covid-Impfpflicht für Beschäftigte in Kliniken, Pflegeheimen und ähnlichen sensiblen Einrichtungen durchgerungen. Das behebt, so der Bundestag zustimmt, einen schweren Fehler der alten Regierung: Impfpflichten kategorisch und frühzeitig auszuschließen, ohne wissen zu können, wie sich Virus und Gesellschaft verhalten würden. Diese Berufsgruppen gehörten zu den ersten, die die Impfung angeboten bekamen. Wenn sie sich jetzt noch immer drücken, ist mit Werben und Aufklären, mit Appellen an die besondere soziale Verantwortung nichts mehr zu erreichen.

Mit dieser Impfpflicht wird ein Teil der schweren Verläufe und Todesfälle vermieden. Denn in den Heimen und Kliniken finden sich überproportional viele Menschen, die besonders auf den Schutz ihrer Umgebung angewiesen sind - weil ihr Immunsystem nicht so gut funktioniert, sodass Impfungen bei ihnen weniger effektiv sind oder in ihrer Wirkung schneller nachlassen. Dass sie bestmöglich von denen geschützt werden, denen sie sich in ihrer Hilflosigkeit anvertrauen, ist überfällig.

Wir könnten uns aus der vierten Welle herausimpfen, wenn...

Für einen Ausweg aus der vierten Welle aber braucht es mehr Impfungen - auch in anderen Teilen der Bevölkerung. Aktuell bietet die große Nachfrage nach Auffrischungsspritzen eine Chance, die unbedingt genutzt werden sollte. Wenn die Mehrheit der Geimpften rasch die dritte Dosis erhält, kann der Immunschutz in der Bevölkerung massiv erhöht werden. Israel etwa hat sich mit einer 50-prozentigen Booster-Quote aus einer riesigen Welle herausgeimpft.

Um dies auch in Deutschland zu schaffen, müssen ganz schnell die Weichen für eine neue Impfkampagne gestellt werden: Man muss Impfzentren, wo immer möglich, wieder öffnen, mobile Teams losschicken, jeden beim Impfen einbeziehen, der dazu in der Lage ist, auch Fach- und Klinikärzte, auch Apotheker. Derzeit ist das Tempo viel, viel zu langsam.

Der Rest der Bund-Länder-Beschlüsse ist dagegen kaum seriös einzuschätzen. 3 G, 2 G, 2 G plus - das mag sich nach einem durchdachten Plan anhören. Doch niemand weiß, welchen Effekt diese Regelungen in welchem Zeitraum haben werden. Es kommt zudem auf die Umsetzung an. Noch immer ergeben Umfragen, dass ein Drittel aller Bundesbürger in Gaststätten und an anderen öffentlichen Orten noch nie nach ihrem Impfnachweis gefragt wurden. So wird das nichts. Wie die Zertifikate in Bussen und Bahnen regelmäßig kontrolliert werden sollen, ist ohnehin schleierhaft. Und letztlich bleibt das Problem, dass diese Regeln nicht im Privaten greifen, wo sich das Virus spielend leicht verbreiten kann.

Es braucht jetzt keinen neuen, fein ziselierten Stufenplan

Wer Praktiker in den Kliniken, den Praxen und den Ämtern hört, dem wird schnell klar: Was akut gebraucht wird, ist kein neuer, fein ziselierter Stufenplan für alle Eventualitäten der Pandemie. Schon gar nicht ein Plan, der allein an der Rate der Hospitalisierungen aufgehängt ist, die dem Infektionsgeschehen notorisch hinterherhinkt.

Angesichts der explodierenden Fallzahlen ist schnelles Handeln nötig. Bayern macht gerade vor, dass auch unpopuläre Maßnahmen dazu gehören. Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte, eine Sperrstunde, Clubschließungen, der Verzicht auf sämtliche Weihnachtsmärkte sowie strengere Regelungen für den Sport- und Kulturbereich sollen im Freistaat kommen, wenn der Landtag zustimmt. Doch letztlich braucht es für Notsituationen auch bundesweit den schnellen unkomplizierten Zugriff auf solche Maßnahmen, statt eines unkoordinierten Gangs durch verschiedene Landesparlamente. Längst gilt, was RKI-Chef Lothar Wieler am Freitag sagte: "Ganz Deutschland ist ein einziger großer Ausbruch." Nur hat man sich mit den neuen Beschlüssen der bundesweiten Notbremsen beraubt. Es sieht leider so aus, als wurde damit ein neuer Kardinalfehler begangen.

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Screenshot: YouTube.com/FreistaatSachsen

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