Süddeutsche Zeitung

Corona:Schluss mit der nationalen Notlage

Viel ist im Kampf gegen die Pandemie erreicht. Deshalb ist es richtig und an der Zeit, den Ausnahmezustand aufzuheben - trotzdem und gerade weil noch einiges zu tun ist.

Kommentar von Werner Bartens

Eigentlich ist die Pandemie auserzählt. Oder nach Karl Valentin: Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. Es gibt gleich mehrere hochpotente Impfstoffe gegen Sars-CoV-2, die ziemlich zuverlässig davor schützen, schwer an Covid zu erkranken oder daran zu sterben. Mittlerweile haben sich die meisten Menschen Corona-Vakzine spritzen lassen. Je nachdem, welchen Rechenschieber das Robert-Koch-Institut (RKI) auspackt, sind zwischen 80 und 85 Prozent der Erwachsenen geimpft. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung sind das knapp unter oder eben etwas mehr als 70 Prozent.

Die Impfung wirkt, sie ist sogar sehr wirksam. Daran ändern auch Berichte über Impfdurchbrüche nichts. 80, eher 90 Prozent der Corona-Patienten, die im Krankenhaus oder gar auf Intensivstationen behandelt werden müssen, sind nicht geimpft. Jene, die trotz vollständiger Impfung heftig erkranken, gehören zumeist zu der Altersgruppe Ü 70, von der bekannt ist, dass ihre Immunreaktion schwächer ist, weswegen ihre Abwehrkräfte mehr Stimulation brauchen und der Impfschutz geringer ausfallen kann als bei Jüngeren. Deswegen wird für die Betagten und Hochbetagten auch eine dritte Impfung zur Auffrischung empfohlen.

Diese Erkenntnisse zum Impffortschritt markieren den Zwischenstand einer Erfolgsgeschichte. In kurzer Zeit ist es gelungen, weite Teile der Bevölkerung vor einem ebenso gefährlichen wie neuartigen Virus zu schützen. Weite Teile der Bevölkerung haben dabei mitgeholfen und mitgemacht. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" zu beenden. "Die Notlage", wie sie verkürzt genannt wird, aufzuheben, ist nicht etwa ein Signal dafür, dass die Pandemie vorbei ist. Aber es wäre ein Zeichen an die Menschen, dass sich ihr Einsatz gelohnt hat, der Ausnahmezustand sich dem Ende nähert und das new normal in vielen Aspekten bald wieder dem alten gleichen könnte. Fortan gilt es, mit der Seuche - und dem, was von ihr bleibt - zu leben.

Es gibt viele Gründe, sich über das Erreichte zu freuen

Masken werden im öffentlichen Nahverkehr vermutlich bis zum Frühjahr bleiben. 2 G ist prima, aber kein Garantieschein, dass es nicht zu gelegentlichen Infektionen kommen wird. Und natürlich bleiben noch Aufgaben: Es gilt, jenen, die "noch abwarten" wollen oder denen trotz Milliarden gespritzter Impfdosen noch mulmig "wegen der Langzeitfolgen" ist, Ängste und Sorgen zu nehmen und sie von der Impfung zu überzeugen, sodass die Verschwörungserzähler am Ende nur noch Selbstgespräche führen können.

Nach sorgfältiger Prüfung und allen Zulassungsschritten können womöglich bald Kinder geimpft werden. Diese weiteren Schritte im Kampf gegen das Virus sind wichtig, damit es noch weniger Verbreitungsmöglichkeiten findet. Ausrotten lässt sich Sars-CoV-2 vermutlich nicht. Aber das Virus verliert seinen Schrecken, wenn es auf eine immune Gesellschaft trifft, der es nichts mehr anhaben kann oder in der es vereinzelt - und dann tatsächlich nur noch - Symptome eines grippalen Infekts auslöst.

Nun ist Vorsicht die Mutter der Pandemiekiste. Viren sind klein, gemein und äußerst wandlungsfähig. Doch trotz aller Warnungen (auch von Medienmenschen) haben sich bisher weder Monstermutationen entwickelt noch sind Geimpfte scharenweise an einer Herzmuskelentzündung oder Thrombose gestorben. Es gibt gleich mehrere Gründe, sich über das Erreichte zu freuen und stolz auf die kollektive Leistung zu sein. Das bedeutet: nicht nachlassen mit den letzten, notwendigen Maßnahmen gegen das Virus - aber Schluss mit der "nationalen Notlage". Es ist an der Zeit.

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