Covid-19:Freiheit auf Gedeih und Verderb

Coronavirus - Berlin

Es ist schon erstaunlich: Das Coronavirus nimmt gerade wieder Anlauf, da verkündet die Regierung den Aufbruch in die große Freiheit.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Inzidenz steigt, doch die Regierung will fast alle Corona-Maßnahmen im Alltag abschütteln. Diese Entscheidung ist rücksichtslos - und zeugt von fehlendem politischen Rückgrat.

Kommentar von Christina Berndt

Deutschland macht sich locker. Schon in wenigen Tagen sollen fast alle Corona-Maßnahmen fallen. So steht es im Entwurf des neuen Infektionsschutzgesetzes, das vom 20. März an gelten soll. Demnach wird es im Alltag der Menschen so gut wie keine Einschränkungen mehr geben, allerdings sollen regionale Maßnahmen im Falle einer zugespitzten Corona-Lage möglich sein. Es ist schon erstaunlich: Das Coronavirus nimmt gerade wieder Anlauf, da verkündet die Regierung den Aufbruch in die große Freiheit.

Grundsätzlich ist es ja richtig und nötig, Maßnahmen zurückzunehmen, wenn die pandemische Lage dies erlaubt. Doch die Pläne der Regierung haben nichts mit der pandemischen Lage zu tun. Vielmehr wird wieder einmal, wie schon so oft in der Pandemie, eine Entscheidung aus rein politischen Motiven getroffen, losgelöst von den Tatsachen, die das Virus schafft. Keine Einschränkungen mehr im Alltag angesichts einer Inzidenz von mehr als 1300, Tendenz steigend, und 220 Toten am Tag? Hier soll ganz offensichtlich gegen jede Vernunft ein Versprechen umgesetzt werden, das die FDP schon im Oktober gab - Freiheitstag 20. März, auf Gedeih und Verderb. Und der sonst zur Vorsicht mahnende Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kann dem offenbar wenig entgegensetzen.

Das neue Infektionsschutzgesetz hat seinen Namen nicht verdient

Die Pandemie geht weiter, und sie erhält gerade wieder neuen Schwung. Dazu trägt die neue Omikron-Variante BA.2 bei, aber auch die Tatsache, dass schon sehr viele Maßnahmen gefallen sind und sich, was Corona betrifft, eine allgemeine Sorglosigkeit in der Bevölkerung breitmacht. Allein die vollmundige Ankündigung von einem Alltag fast ohne Einschränkungen dürfte viele Menschen im Land nur noch weiter in dem Glauben bestärken, die Pandemie sei vorbei und man könne zur Normalität des Jahres 2019 zurückkehren.

Die Zahl der Infizierten ist gerade extrem hoch, und sie wird wegen dieses neuen Infektionsschutzgesetzes, das seinen Namen nicht verdient, noch einmal kräftig steigen, bevor der Sommer das Virus hoffentlich wieder einfängt. Das Nachsehen haben die Millionen besonders Gefährdeten im Land. Menschen, die aufgrund des Alters oder Krankheit trotz Impfung nicht ausreichend geschützt sind, können Sars-CoV-2 derzeit kaum entkommen. Von diesen Menschen lebt nur ein Bruchteil in Pflegeeinrichtungen, wo weiterhin schärfere Maßnahmen gelten sollen. Die meisten dieser vielen Millionen Menschen leben mitten in der Gesellschaft. Sie müssen täglich zur Arbeit fahren und zum Einkaufen gehen.

Die Maskenpflicht in Bussen, Bahnen und Geschäften sollte bleiben

Es wäre daher geboten, noch eine Weile die Home-Office-Pflicht zu bewahren. Das dämmte die Ausbreitung des Virus ein und gäbe vulnerablen Menschen die Gelegenheit, in geschützter Umgebung zu arbeiten und sich von Kontakten so weit abzuschirmen, wie es ihre Gesundheit erfordert - ohne sich auf Diskussionen mit ihrem Arbeitgeber einlassen und Vorerkrankungen offenlegen zu müssen.

Ein Minimum an Infektionsschutz, den doch das Gesetz bieten soll, wäre es zudem, wenigstens an der allgemeinen Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, Supermärkten und Drogerien festzuhalten, bis die Inzidenzen sehr deutlich gesunken sind, damit auch gefährdete Menschen diese ohne Sorgen nutzen können. Masken an diesen Orten zu tragen, verlangt niemandem zu viel ab, aber es widerspräche natürlich der versprochenen Freiheit von allen Maßnahmen. Die fünfte Welle bäumt sich gerade noch einmal auf. Ungeachtet dessen so umfassend zu lockern, zeugt von Rücksichtslosigkeit und fehlendem politischen Rückgrat.

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