Süddeutsche Zeitung

Pandemie:Geldstrafen für Impfschwänzer? So ein Unsinn

Wie bringt man eine ganze Gesellschaft dazu, sich gegen das Coronavirus immunisieren zu lassen? Sicher nicht mit Drohungen. Die Politik hat einen viel mächtigeren Hebel, um ihr Ziel zu erreichen.

Kommentar von Katharina Riehl

Politische Debatten sind kurzlebig, während einer globalen Gesundheitskrise vermutlich noch mehr. Das Tempo allerdings, mit dem sich der gesellschaftliche Furor in diesen Tagen ein neues Ziel gesucht hat, ist beachtlich. Nur wenige Tage ist es her, da war es noch die zu langsame Impfstoffbeschaffung von EU und Bundesrepublik und die mangelhafte Versorgung der Hausärzte mit Vakzinen, gegen die sich der allgemeine Zorn richtete. Jetzt, da es langsam ausreichend Impfstoff für alle zu geben scheint, muss jemand anderes daran schuld sein, dass Deutschland im Juli 2021 noch keine Herdenimmunität erreicht hat. Es ist: der Impfling.

Wahr ist, dass es in den vergangenen Tagen immer wieder Meldungen von abgesagten oder eben nicht einmal abgesagten Impfterminen gab. Vor allem in den großen Impfzentren, aber auch in einigen Praxen erscheinen Menschen nicht zu ihren verabredeten (oft zweiten) Impfterminen. Was es allerdings nicht gibt, sind belastbare Statistiken zu den Gründen. Es ist weitgehend unklar, ob viele Menschen einfach an mehreren Stellen Termine vereinbart haben, um möglichst schnell immunisiert werden zu können, oder ob es tatsächlich oft Urlaubspläne sind, die plötzlich wichtiger erscheinen als der Impftermin.

Die Debatte über Strafen zerstört unnötig Vertrauen

Sachlage also unübersichtlich, aber das macht ja meistens nichts, weshalb am Wochenende mehrere Politiker die Forderung erhoben, nicht abgesagte Impftermine mit einer Geldstrafe zu ahnden. These: Alle, die ihre Termine nicht wahrnehmen, so dass Impfstoffe teilweise sogar im Müll landen, verhalten sich unsolidarisch. Das kann man so sehen, und trotzdem ist eine Strafandrohung, allein die Debatte darüber, riesiger Unsinn.

Wir sind als Gesellschaft darauf angewiesen, die Impfbereitschaft im Land hoch zu halten und in den Herbst hinein noch weiter zu steigern. Die Betonung liegt auf "Bereitschaft", eine allgemeine Impfpflicht wird es nicht geben. Was eine angedrohte Strafzahlung fürs Schwänzen auslösen kann und bei vielen auch wird, ist Trotz und das Gefühl, dass "der Staat" einem am Ende eben doch irgendwas aufzwingen will. Das Vertrauen, das mit einer solchen Debatte zerstört wird, lässt sich mit ein paar Hundert vernichteten Biontech-Dosen nicht aufrechnen.

Die Aussicht auf individuelle Freiheit? Wenn das kein Anreiz ist

Vielmehr muss es der Politik gelingen, möglichst allen Menschen den Wert einer Impfung zu vermitteln - die riesige Chance für das eigene Leben und die individuelle Freiheit, die zum Preis von zwei Spritzen in den Oberarm zu haben ist. Deshalb hat Andreas Gassen, der Chef der Kassenärzte, nun genau die richtige Debatte angestoßen. Er fordert, Geimpfte von "nahezu allen Corona-Maßnahmen" zu befreien.

Jetzt, im Juli, wo immer noch Menschen auf Impftermine warten, mag es für solche Überlegungen zu früh sein. Aber natürlich sind das genau die Fragen, denen sich die Politik und die Gesellschaft in den kommenden Monaten wird stellen müssen. Die Aussicht auf ein möglichst normales Leben für Geimpfte ist doch der größte Hebel, um auch die Zögernden vom Sinn einer Immunisierung zu überzeugen. Sicher größer als Freibier oder ein Einkaufsgutschein. Die derzeit gültige zweiwöchige Quarantäne für vollständig Geimpfte, wenn sie aus einem Virusvariantengebiet nach Deutschland einreisen, trägt jedenfalls sicher nicht dazu bei, den Menschen Lust auf den Piks zu machen.

Die Pandemiebekämpfung bleibt eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung. Druck ist nicht das Mittel, das zum Ziel führt. Es funktioniert nur andersherum: Das Ziel muss so verlockend aussehen, dass alle freiwillig dort hinwollen.

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