Corona:Booster für die Pandemieverdrossenheit

Gesundheitsminister Lauterbach empfiehlt die vierte Impfung für alle Erwachsenen. Belege für einen signifikanten Nutzen sind indes rar.

Kommentar von Werner Bartens

Länger nichts von Karl Lauterbach gehört. Der Gesundheitsminister von der SPD ist medial nicht mehr so präsent wie zu Krisenzeiten der Pandemie, als er nahezu täglich in Talkshows den Mahner und Warner gab. Die letzten Versuche, die Bedrohung in düsteren Farben zu schildern ("Sommer-Welle", "Herbst-Welle", "Super-Virus") haben beim Publikum nicht verfangen.

Jetzt rät Lauterbach aus dem Nichts zur vierten Impfung für alle. Wissenschaftlich seriöse Belege dafür, dass auch jüngere und mittelalte Erwachsene einen signifikanten Nutzen davon haben, sind - freundlich ausgedrückt - rar. Es gibt zwar in Studien Hinweise, dass die vierte Spritze das Immunsystem gegen Sars-CoV-2 stärkt und die Impfung vermutlich wenig schadet. Besonders ausgeprägt ist der Vorteil allerdings nicht - im Gegensatz zu dem erheblichen Nutzen, den die dritte Impfung ("Booster") gegenüber einer lediglich zweifachen Impfung bietet.

Höchst ungeschickt ist es allerdings, dass Lauterbach mit seinem Vorstoß das Durcheinander der Empfehlungen vergrößert. Die Ständige Impfkommission (Stiko) rät zur vierten Impfung ab 70 Jahren, die EU (genauer: ihre Gesundheitsbehörde ECDC und die Arzneimittelbehörde EMA) empfehlen den vierten Stich ab 60. Für die vom Wirrwarr der Regeln und Verordnungen in den Bundesländern geplagten Menschen ist das eine weitere Zumutung. Die wissenschaftliche Evidenz hinter Lauterbachs Alleingang ist zumindest diskussionswürdig; aus kommunikativer Sicht ist seine Initiative sogar schädlich. Alles in allem ein weiterer Booster für die Pandemieverdrossenheit.

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