Süddeutsche Zeitung

Corona-Hilfen:Im digitalen Mittelalter

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Unternehmer, die verzweifelt auf Geld vom Bund und den Ländern warten? 25 Milliarden Euro an Hilfen, die gar nicht abgerufen werden? Das ist das Ergebnis wirtschaftspolitischer Versäumnisse der Vergangenheit.

Von Cerstin Gammelin

Man kann der Politik nicht vorhalten, dass sie in der Pandemie täglich vor neuen Herausforderungen steht, an die sie ihr Handeln anpassen muss. Was man aber der Koalition im Bund und auch den Ländern ankreiden muss, ist, dass sie den Bürgern wider besseres Wissen Versprechungen machen, die später zu Verdruss und Pleiten führen. Wie bei den Wirtschaftshilfen für Unternehmen und Unternehmer.

Es war ein Signal der Zuversicht, das die Bundesregierung senden wollte, als sie Ende Oktober bekannt gab: Restaurants, Veranstalter und Künstler, die schließen sollten, damit Schulen, Geschäfte und Betriebe geöffnet bleiben durften, bekämen großzügige Erstattungen des Umsatzes. Schnell und unkompliziert, 15 Milliarden Euro insgesamt für den November, später noch 17 Milliarden Euro für den Dezember. Heute muss man die Frage stellen, ob sie wussten, was sie taten. Wochenlang gab es nichts, dann kleine Abschläge, später größere. Einige große Unternehmen haben immer noch keine Zahlung.

Die wirtschaftlichen Schäden werden bald sichtbar werden

Das ist ein schweres Versäumnis, umso mehr, weil die Pandemie unerbittlich ihre Furchen zieht. Die großen wirtschaftlichen Schäden werden im Frühsommer zu sehen sein, die Vorboten sind es schon. Immer mehr Unternehmer geben auf. Nach einem Jahr ohne Karneval und Bälle wird im März der bekannteste Kostümverleih in Berlin schließen. In den Einkaufszentren gähnen dunkle Schaufenster. Der Gastwirt, der gerade seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, schließt, bevor die Altersvorsorge aufgebraucht ist. Im Naumburger Land stehen Familien vor der Pleite, die nebenberuflich Ferienwohnungen vermieten und keine Gäste mehr haben. Die Einzelschicksale zeigen, dass die Wirtschaft nach der Pandemie nicht dort wird anknüpfen können, wo sie vor ihr war.

Man muss dem sozialdemokratischen Finanzminister zugutehalten, dass er viel Geld eingeplant hat, um zu helfen. Niemand kann Olaf Scholz vorwerfen, er kleckerte statt zu klotzen. Das war richtig so. Umso schlechter sieht er nun aus, weil 25 Milliarden Euro gar nicht abgerufen wurden. Was nutzt das ganze Geld, wenn es im Schaufenster liegen bleibt? Es zeigt, dass vieles nicht funktioniert. Sicher, die Ursachen sind vielfältig und auch im Bundeswirtschaftsministerium zu suchen, wo Peter Altmaier (CDU) sich vorab mit den europäischen Wettbewerbshütern hätte abstimmen müssen, um das spätere Durcheinander bei den Antragsbedingungen zu verhindern.

Die Verwaltungen wurden über Jahre nicht modernisiert

Vor allem aber sind es die wirtschaftspolitischen Versäumnisse vergangener Jahre, die die Pandemie wie ein Scheinwerfer erhellt. Mit viel Pomp wurde die schwarze Null gefeiert - und dafür die Modernisierung von Schulen, Ausbildung und Verwaltung zurückgestellt. Dass die Unternehmen jetzt so lange warten müssen, liegt weniger am fehlenden guten Willen in Berlin als am digitalen Mittelalter in föderalen Stuben: Finanzämter, Landesbehörden und -banken arbeiten mit verschiedener Software und kleinteiligen Förderprogrammen.

Minister Altmaier scheiterte mit seinem Versprechen, über eine zentrale Plattform schnelle Anträge zu ermöglichen, kläglich im föderalen Dschungel und an fehlenden Programmierern. Man habe gelernt, dass so was nicht in 48 Stunden zu programmieren sei, heißt es jetzt. Ach wirklich? Der Bund hat schon vor Jahren einen Digitalfonds mit gut sechs Milliarden Euro gefüllt. Wie viel Geld davon noch da ist? So gut wie alles. Und: Die Bundesregierung wusste davon.

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