Süddeutsche Zeitung

Corona-Hilfen:Die Koalition hat viel Geld, aber keinen Kompass

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Natürlich muss der Staat Menschen und Firmen in der Pandemie unterstützen. Aber das, was Union und SPD gerade beschlossen haben, hilft am Ende keinem wirklich weiter - sondern verschärft so manches Problem.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Corona-Zuschuss, Kinder-Bonus, Kultur-Hilfen, leichterer Zugang zur Grundsicherung, diverse Wirtschaftshilfen und dann noch ein europäisches Gemeinschaftsprojekt - die Spitzen von Union und SPD haben im Koalitionsausschuss am Mittwochabend viele bedacht, die von der Pandemie besonders hart betroffen sind. Ein Lob hat sich die Koalition dafür dennoch nicht verdient. Denn so richtig es ist, Unterstützung zu leisten, so falsch ist es, diese auch in der Pandemie nach einem Prinzip zu verteilen, das schon vor Corona falsch war. Man nehme ein paar Milliarden Euro in die Hand und verteile sie entlang parteipolitischer Präferenzen.

Seit ihrem Start im März 2018 hat diese große Koalition vermissen lassen, was eine Regierungsmannschaft eigentlich vorlegen muss, wenn sie ihre Arbeit beginnt - ein stringentes, gemeinsames Konzept. Der Koalitionsvertrag war von diesem Anspruch immer weit entfernt. Es war von Anfang an das Geld, das das Bündnis aus CDU, CSU und SPD zusammenhielt. Daran hat auch die Pandemie nichts geändert.

Die Steuereinnahmen werden weiter einbrechen

Das Überraschende daran ist, dass ja - vor allem nach den Maßstäben der Union - kein Geld mehr da ist. Die große Koalition schloss 2020 mit einer Rekordneuverschuldung von 130 Milliarden Euro ab, für heuer waren 180 Milliarden Euro geplant - das war vor dem langen Lockdown. Dieser wird die Steuereinnahmen weiter bröckeln lassen, während der Staat immer mehr Geld aufwenden muss, um gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Strukturen aufrechtzuerhalten.

Die mehr als sieben Milliarden Euro, welche die Koalition nun auf den wachsenden Berg an Ausgaben packt, mögen da wie Peanuts erscheinen. Trotzdem: Das ist sehr, sehr viel Geld, aber es geht gar nicht um die Summe. Sondern darum, dass dieser Koalition der Kompass fehlt. Das kann auch viel Geld nicht vergessen machen.

Zögen Union und SPD an einem Strang und stellten sie parteipolitische Überlegungen hintan, wären sie wohl schnell auf diese Idee gekommen: Es ergäbe viel mehr Sinn, in der Pandemie dringend benötigte Dinge in großem Stil herzustellen und dann kostengünstig und schnell an die Bevölkerung zu verteilen. FFP2-Masken für einen Euro, Tests für alle zum Selbstkostenpreis oder sogar kostenfrei, Taxigutscheine für Impftermine. Oder: Wirtschaftshilfen bei geeigneten Firmen mit der Auflage verbinden, vorrangig dringend benötigte Güter zu produzieren - und natürlich auch Impfstoff.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer werden

Union und SPD aber haben es zugelassen, ja sogar gefördert, dass medizinische Masken für sozial schwache Menschen und auch große Familien monatelang wie ein Luxusgut anmuteten. Dass es vom Geldbeutel abhing, ob man sich testen lassen konnte. Hier zeigt sich besonders eindrücklich, wie teuer die fehlende Einigkeit der Koalition schlussendlich die Bürger kommt: Die einen lässt man sich eine goldene Nase verdienen, während man die anderen mit Staatsgeld stützt. So wird in der Pandemie die Kluft zwischen Arm und Reich noch größer.

Und selbst in der Sache sind die neuen Hilfen nicht wirklich schlüssig. Restaurants und Bars werden Stand heute die Letzten sein, die wieder öffnen dürfen. Solange sie aber geschlossen sind, nutzt eine abgesenkte Mehrwertsteuer nichts. Einmalig 150 Euro für Empfänger von Grundsicherung sind für jeden Betroffenen sicher nützlich, lösen aber nicht das grundsätzliche Problem. Dass Unternehmen Verluste aus den Corona-Jahren rückwirkend stärker verrechnen können, ist richtig - reicht aber immer noch nicht aus. Ja, es ist gut, dass der erleichterte Zugang zur Grundsicherung bis Ende des Jahres möglich ist. Besser wäre es allerdings, diesen vermeiden zu helfen.

Besonders für die Union dürfte sich das ausgegebene Geld im Wahlkampf noch zu einer großen Belastung auswachsen. Gerade hat eine große Mehrheit um die beiden Vorsitzenden Markus Söder (CSU) und Armin Laschet (CDU) jedes Rütteln an der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse mit Verve zurückgewiesen. Das bedeutete, dass 2022 nur noch zehn Milliarden Euro neue Schulden gemacht werden dürfen. Um das zu schaffen, müsste der Staat eine Vollbremsung bei den Ausgaben hinlegen - wie ein Formel-1-Wagen mitten im Rennen. Wer's glaubt.

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