Schulen:Immer auf die Kleinen

Coronavirus - Schulen im Kreis Heinsberg weiter geschlossen

Diese Schule im Kreis Heinsberg war zu Beginn der Pandemie geschlossen: Nachdem in einer Schlachterei hunderte Corona-Fälle nachgewiesen wurden, schloss jetzt der Landkreis Gütersloh Kitas und Schulen.

(Foto: Jonas Güttler/dpa)

Sind in Deutschland Schlachthöfe wichtiger als Schulen und Kindergärten? Es wäre an der Zeit, mit Schulöffnungen zu experimentieren. Von Kindern gehen kaum Corona-Ausbrüche aus - und dennoch müssen sie büßen.

Kommentar von Hanno Charisius

Da gibt es einen beispiellosen Corona-Ausbruch in einem riesigen fleischverarbeitenden Betrieb in Deutschland, im Landkreis Gütersloh. Mehr als 600 Virustests fallen positiv aus, 7000 Menschen sind in Quarantäne, der Betrieb wird geschlossen. Und was tut der zuständige Landrat? Er ordnet die Schließung aller Schulen und Kindergärten im Kreis an. Das zeigt anschaulich, wo Deutschland die Prioritäten setzt im Kampf gegen die Pandemie: Geopfert werden zuerst die Rechte und Bedürfnisse der Schwächsten.

Eigentlich hatten sich die Regierenden der Länder mit der Bundesregierung darauf geeinigt, dass bei Überschreiten der Marke von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern in sieben Tagen wieder verschärfte Anti-Corona-Maßnahmen eingeführt werden mit all ihren schädlichen Konsequenzen für die Menschen und die Wirtschaft. Diese Marke wird in Gütersloh wohl überschritten. Doch es werden nur Schulen und Kindergärten geschlossen, mit der Begründung, dass dies besser sei als ein "Lockdown" - und ein gutes Mittel gegen die Ausbreitung. Das ist Unsinn.

Kinder sind nach derzeitigem Wissensstand nicht die Treiber dieser Pandemie. Ja, die Rolle der Kinder ist noch unklar. Es gibt Studien, die zeigen, dass sie sich seltener infizieren als Erwachsene. Dass sie sich infizieren können, ist unstrittig. Inwieweit sie das Virus weitergeben, ist unklar, doch wahrscheinlich sind sie ähnlich infektiös wie Erwachsene. Oft wird argumentiert, dass Schulen dennoch besonders gefährlich seien, weil Kinder dort viele Kontakte haben und die Kleinen sich nicht an Abstands- und Hygieneregeln halten können. Das ist sicher richtig. Und doch gehen die großen Ausbrüche der vergangenen Wochen nicht von Kindern aus, sondern von Erwachsenen. Kinder müssen nur dafür büßen.

Ja, Schulen und Kindergärten sind gefährliche Stätten des Austauschs für Krankheitskeime aller Arte, weswegen man sie in einer Pandemie besonders überwachen muss. Doch auch nach einem halben Jahr mit dem Virus gibt es dazu noch immer kein flächendeckendes Konzept. Dabei wäre gerade in diesen Wochen vor den Sommerferien Gelegenheit, um verschiedene Ideen zur Gestaltung des Schulalltags und der Viruskontrollen in Schulen und Kindergärten zu erproben - um vorbereitet zu sein, wenn im Herbst wieder alle näher zusammenrücken, wenn die Fenster geschlossen werden müssen.

Kanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten haben am Mittwoch den Weg freigegeben, im Herbst zum Regelbetrieb zurückzukehren. Jetzt, da das Virus halbwegs unter Kontrolle ist, wäre die Zeit für das Experiment Schulöffnung. Um Erfahrungen zu sammeln und Pläne zu schmieden für die wahrscheinliche Rückkehr der Viren im Herbst. Im einigen Städten passiert das auch. Doch die allermeisten Schulen und Kindergärten laufen weiter im Minimalbetrieb oder werden gleich ganz geschlossen, sobald Erwachsene in der Nachbarschaft das Virus verbreiten. Die Friseure, Restaurants und Fitnessstudios dürfen weitermachen, und sogar die Schlachtbetriebe, obwohl sie erwiesenermaßen Corona-Hotspots sind. Die große Zahl von Fällen im Kreis Gütersloh zeigt, dass dieser Ausbruch sich über Wochen entwickelt hat, obwohl immer versprochen wird, dass alles getan werde, um Ausbrüche zu verhindern.

Dass so etwas überhaupt passiert und Politikern dann noch immer nichts Besseres einfällt als die Schulen zu schließen, zeigt, wie unbedarft sie noch immer dem Virus gegenüberstehen. Schlägt es zu, trifft es letztlich die Kleinen. Nicht weil das besonders viel bringen würde, Schulen und Kindergärten zu schließen, sondern weil es so einfach ist. Und die betroffenen Familien sind längst viel zu erschöpft, um sich noch zu wehren.

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