Covid-19:Zwei Jahre Pandemie - und nichts gelernt

Schon wieder kommt Deutschland mit dem Impfen nicht hinterher, schon wieder trifft es die Alten. Und die Politik? Schon wieder redet sie von Lockerungen. Was für ein tödlicher Realitätsverlust.

Kommentar von Christina Berndt

Deutschland kommt mit dem Impfen der vielen Wartenden nicht hinterher. Der Satz mutet wie eine Schlagzeile von Anfang 2021 an, als die Corona-Impfkampagne unerträglich schleppend begann. Aber tatsächlich ist es jetzt schon wieder so weit: Die Älteren im Land benötigen dringend eine Auffrischung gegen Covid-19. Seit Monaten ist abzusehen, dass sie nicht mehr gut genug geschützt sein werden im Herbst. Und trotzdem geht das Impfen dieser vulnerablen Gruppe nicht voran.

Stand heute haben gerade mal 1,9 Millionen Menschen einen Boost für ihr Immunsystem erhalten, es bräuchten ihn aber fast 15 Millionen über 70-Jährige - und zwar jetzt, da die Inzidenzen so stark steigen, nicht erst in einigen Wochen. Doch das wird in dem Tempo, in dem es nötig ist, nun kaum umzusetzen sein. Zwar haben viele Bundesländer schon im August mit den Auffrischungsimpfungen angefangen, aber insgesamt zu zaghaft.

25 Prozent der Patienten auf Intensivstationen sind geimpft

Es wurde versäumt, zeitig mobile Impfteams in die Pflegeheime zu schicken. Noch dazu wurden trotz der Warnungen vor der Herbstwelle die Impfzentren geschlossen - im Glauben, die niedergelassenen Ärzte würden es schon richten. Doch die kommen mit der Arbeit gar nicht hinterher. Außerdem haben viele, die noch mit großem Engagement die Erst- und Zweitimpfungen verabreicht haben, das Impfen ob des großen Aufwands längst eingestellt.

Schon jetzt sind die Folgen der fehlenden Auffrischungen zu spüren. Unter den Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen finden sich mittlerweile 25 Prozent Geimpfte, die meisten von ihnen sind über 60 Jahre alt. Somit hat die Politik ein weiteres Mal eine der verletzlichsten Gruppen der Gesellschaft in dieser Pandemie aus den Augen verloren: Sie hat es erneut versäumt, für die Alten zu sorgen.

Dieses "erneut" und "schon wieder" in der Pandemie macht einen noch ganz krank. Ein Déjà-vu jagt das nächste. Und je länger die Pandemie fortschreitet, desto mehr steht man mit Staunen vor den Entscheidungen der Verantwortlichen und fragt sich: Haben die denn gar nichts gelernt? Dabei ist das zu langsame Impfen nur ein Aspekt.

Das Prinzip Hoffnung beherrscht die Politik

Vor genau einem Jahr schossen die Inzidenzen in atemberaubende Höhen. Wissenschaftler warnten, doch Deutschlands Politiker schwafelten von der Rückkehr zur Normalität und öffneten Geschäfte. Dann fand endlich Anfang November Karl Lauterbachs Forderung nach einem Wellenbrecher-Lockdown Gehör. Es war viel zu spät. Viele Menschen wurden schwer krank oder starben.

Wie vor einem Jahr schießen nun wieder die Inzidenzen in die Höhe. Fachleute warnen vor überbelegten Intensivstationen. Doch Deutschlands Politiker setzen erneut auf Lockerung. Marco Buschmann von der FDP prophezeit glashart, dass keine Überlastung der Kliniken mehr drohe. Und nachdem Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, es gebe keine nationale Notlage mehr, trauen sich auch die Ampelkoalitionäre nicht mehr, selbige zu verlängern. Ein Bundesland nach dem anderen hebt die Maskenpflicht in Schulen auf. Das Saarland verkündet sein freizügigeres "Saarland-Modell Plus"; es klingt wie eine Einladung an die neue, noch etwas ansteckendere Corona-Variante "Delta Plus".

So beherrscht wieder einmal das Prinzip Hoffnung die Politik. Im vergangenen Jahr war es durch den entspannten Sommer beflügelt, in diesem Jahr durch die erreichte Impfquote. Beide Male war klar, dass das Virus stärker ist. Optimismus ist ja eine wunderbare Eigenschaft, die Menschen durch Krisen bringt und ihnen Handlungsmöglichkeiten eröffnet, wo Angst nur hemmt. Aber ein politischer Optimismus mit Realitätsverlust? Der ist im Angesicht von Sars-CoV-2 einfach nur tödlich.

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