Süddeutsche Zeitung

Lockdown und Wirtschaft:Eine Chance für alle

Deutschland braucht ökonomische Stabilität. Dafür ist politische Entschiedenheit nötig. Genau das leisten die neuen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.

Von Marc Beise

Deutschland macht dicht, sagen die handelnden Politiker im Kampf gegen Corona mit grimmiger Entschlossenheit, und je mehr sie sich als Durchregierer fühlen, desto begeisterter referieren sie, was sie gerade beschlossen haben. Einige Ministerpräsidenten, zumal Markus Söder aus Bayern, gefallen sich in diesen Tagen in Macher-Attitüde. Das muss man nicht mögen, trotzdem gibt es gute Gründe, die Maßnahmen im Prinzip gutzuheißen.

Denn wer die Statistiken lesen kann, die Dynamik der Ausbreitung des Virus versteht, die Lage in den Krankenhäusern kennt und die Gesellschaft nicht in zwei Gruppen aufteilen will, in die, die das schon alles überleben werden, und die anderen, die eben auf der Strecke bleiben - wer also all das klug und mitfühlend bewertet, der dürfte doch gar nicht anders können, als den teilweisen Stillstand des Lebens in den kommenden Wochen richtig zu finden.

Es geht nicht um die Wahl von Mensch oder Wirtschaft

Obwohl ja, so wird das jetzt allgemein gesagt und beklagt, der Lockdown dramatische wirtschaftliche Folgen haben werde. Wirklich? Interessanterweise treffen sich an diesem Punkt, wie also der Lockdown wirkt, dessen Befürworter wie dessen Gegner, oder sagen wir freundlicher die Zweifler, die eben wegen der erwarteten Auswirkungen auf die Wirtschaft gegen den Lockdown sind nach dem Motto: Wollen wir denn die Wohlstandsbasis unseres Landes kaputt machen, ist es das wirklich wert?

Die gute Nachricht lautet: Es gibt diese Alternative gar nicht. Also: Schützen wir die Menschen oder die Wirtschaft? In Wirklichkeit schützt gerade der Lockdown die Wirtschaft. Das ist also ein weiteres Argument dafür, dass die jetzt beschlossenen Maßnahmen richtig sind. Nicht trotz ihrer Auswirkungen auf die Wirtschaft, sondern gerade wegen dieser Auswirkungen.

Auf den ersten Blick ist das in der Tat schwer zu verstehen. Denn die Nöte, ja Existenzsorgen von Millionen Wirtschaftstreibenden sind offensichtlich, auch die Milliardenverluste mancher Konzerne. Das Leid der Selbständigen, der Kleinunternehmer, der Händler und Künstler, derer, die ihren Arbeitsplatz verlieren - das ist real. Aber so schlimm diese Entwicklung in jedem Einzelfall ist und so schwer sie für Betroffene zu akzeptieren ist, braucht es doch auch den zweiten Blick auf die Volkswirtschaft insgesamt.

Zunächst wird ja in der Industrie und vielen anderen Bereichen weitergearbeitet. Und der Stillstand zum Jahresende fällt in eine Phase, in der das produzierende Gewerbe, von dessen Gedeihen der deutsche Wohlstand maßgeblich abhängt, jahreszeitlich bedingt ohnehin gedimmt ist.

Es ist ferner selbstverständlich, dass man denen helfen muss, die jetzt in Not geraten. Es soll und muss und wird mit staatlichen Hilfsgeldern, die das reiche Deutschland sich leisten kann, eine Brücke in die Zeit gebaut, wenn Corona zurückgedrängt sein wird. Das viel zitierte Wort des Ökonomen Joseph Alois Schumpeter von der "schöpferischen Kraft der Zerstörung" ist auf den "normalen" Strukturwandel zu beziehen, nicht auf überfallartige Katastrophen. Dafür hat die Politik jetzt erneut eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, über die man im Einzelnen diskutieren kann, die aber im Grundsatz richtig sind.

In den USA ist zu sehen: Strikte Maßnahmen behindern die Wirtschaft nicht

Vor allem aber geht es in der Wirtschaft um Stabilität. Eine beliebte Forderung von Unternehmern gegenüber der Politik lautet: lieber eine schlechte politische Entscheidung als gar keine. Und das gilt sogar für Verbraucher, auch sie sind Teil der Wirtschaft. Dazu hat die Deutsche Bundesbank gerade eine interessante Umfrage veröffentlicht unter Verbrauchern, warum sie weniger konsumieren. Ein Drittel der Befragten schränkt den Konsum aus Sorge vor Ansteckung ein. Das zeigt, wie sehr die ungebremste Bedrohung durch Corona das wirtschaftliche Handeln beeinflussen würde.

Es ist illusionär zu glauben, die Wirtschaft könnte weiter boomen, während sich das Virus durchs Land frisst. Studien aus den USA, wo die Bundesstaaten in der Ära Trump sehr unterschiedlich auf Corona reagiert haben, belegen das eindrücklich. In Regionen mit strikten Maßnahmen lief die Wirtschaft nicht schlechter als dort, wo der Staat die Dinge laufen ließ.

Namentlich der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands verdankt sich immer auch stabilen Rahmenbedingungen, dem Gefühl: Hier klappen die Dinge, mehr oder weniger, gut. So begründen sich auch manche Investitionen aus dem Ausland oder solche, die im Inland bleiben trotz attraktiver Angebote anderswo. Deutschland mag teuer sein - aber es funktioniert. Ein lang anhaltender latenter Krisenmodus würde diese Sichtweise verändern.

Deshalb hat ein Ökonom wie Clemens Fuest recht, der Präsident des Ifo-Instituts, der sonst durchaus viel Kritik an den Standortbedingungen in Deutschland zu üben weiß, den Lockdown aber ausdrücklich mitträgt und ihn sogar als Chance für die Wirtschaft beschreibt. Er ist eine Investition in die Zukunft.

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