Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Die Kluft wird größer

Die 2-G-Regel, also die Bevorzugung von Geimpften und Genesenen, ist derzeit die beste Option im Kampf gegen die Pandemie. Doch der Preis für diesen Schritt ist hoch.

Kommentar von Angelika Slavik

Das Coronavirus hat Menschenleben gekostet, wirtschaftliche Existenzen vernichtet und den Zusammenhalt erodieren lassen. Ist es da nicht verständlich, wenn die Politik alles Menschenmögliche tun will, um ein Wiederaufflammen der Pandemie zu verhindern? Ist es. Und trotzdem ist die 2-G-Regel, die Geimpfte und Genesene gegenüber Getesteten bevorzugt, eine bittere Entscheidung. Denn sie wird schmerzhafte Nebenwirkungen haben.

Klar, es gibt viele Gründe, die für den verstärkten Einsatz von 2 G sprechen. Diese Regelung könnte im besten Fall jene zum Impfen motivieren, die bislang keinen persönlichen Vorteil darin erkennen konnten. Die also nicht grundsätzlich gegen die Impfung sind, sondern nur keine Dringlichkeit erkannt, sich von den Impfaufforderungen nicht angesprochen gefühlt haben. Das ist, nach allem was die Wissenschaft weiß, eine immer noch beeindruckend große Gruppe, möglicherweise die Mehrheit der bislang Ungeimpften. Gewinnt man sie für den Piks, wäre das im Kampf gegen das Virus ein wichtiger, vielleicht entscheidender Vorteil. Dazu kommt, dass 2 G die einzige Möglichkeit ist, um etwa Restaurantbesitzern und Klubbetreibern die Chance zu geben, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und dabei weder Virusverbreitung noch einen weiteren Lockdown fürchten zu müssen.

Und drittens ermöglicht die 2-G-Regel den Geimpften und Genesenen die Rückkehr zu großen Teilen einer beinahe verloren geglaubten Normalität. Theater, Konzerte, Restaurants und Klubs sind ja nicht nur wichtig für die, die sie betreiben. Sie sind auch existenziell wichtig für die Menschen, die dort hingehen - weil diese Dinge das Leben bunt und lebenswert machen. 2 G ist also ein Mittel gegen die große emotionale Erschöpfung, welche die Pandemie verursacht hat.

Trotzdem bedeutet 2 G natürlich auch eine dann unbestreitbare Teilung der Gesellschaft in zwei Klassen. Das ist für jene, die sich nicht impfen lassen können, zutiefst ungerecht. Berlin wollte zuerst nicht einmal für Kinder unter zwölf Jahren eine Ausnahme machen - ein Irrsinn, der Familien vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen hätte und nun wohl korrigiert wird. Wer aber aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden kann - eine kleine, aber eben vorhandene Gruppe -, ist ohne eigenes Verschulden ausgesperrt.

Manche Menschen schotten sich ohnehin ab - was problematisch genug ist

Aber auch die, die sich einfach partout nicht impfen lassen wollen, sollte man nicht aus dem Blick verlieren. Schon vor der Pandemie ist der Gesellschaft so etwas wie eine gemeinsame Öffentlichkeit abhandengekommen. Es gibt Menschen, die nicht Zeitung lesen und nicht "Tagesschau" gucken, sondern Falschnachrichten aus den Tiefen des Internets als einzige Nachrichtenquelle nutzen - und folglich ihre Entscheidungen auf einer völlig anderen Grundlage treffen als der Rest der Bevölkerung. Das gehört, unabhängig von der Pandemie, zu den größten gesellschaftlichen Problemen. Und es ist absehbar, dass der Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben die Abschottungstendenzen dieser Gruppe verstärken wird. Das Risiko, sie für immer zu verlieren, wird größer.

In der Summe ist 2 G dennoch die beste Option, die im Kampf gegen das Virus und seine Folgen derzeit zur Verfügung steht. Man sollte sich nur darüber im Klaren sein, dass für diesen Schritt ein verdammt hoher Preis zu zahlen ist.

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