Süddeutsche Zeitung

Aktuelles Lexikon:Ton Steine Scherben

Einstige West-Berliner Protest-Band, deren Managerin Claudia Roth nun grüne Staatsministerin für Kultur werden soll.

Von Willi Winkler

In der frühen Bundesrepublik gab es eine Gewerkschaft mit dem poetischen Namen Bau-Steine-Erden. Sie setzte das Schlechtwettergeld durch und warb mit dem Slogan "Seid schlau - lernt beim Bau!" um Nachwuchs. Die Musiker Rio Reiser, Lanrue, Kai Sichtermann und Wolfgang Seidel, die sich 1970 im damaligen West-Berlin zusammenfanden, zeigten wenig Interesse an wirtschaftswunderlicher Wiederaufbauarbeit und nannten sich programmatisch Ton Steine Scherben. Bereits mit ihrer ersten Platte etablierten sie sich als Abbruchunternehmer: "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Punk war noch längst nicht erfunden, als die "Scherben" bereits mit der Parole "Keine Macht für Niemand" besetzte Häuser und bald auch Altbauwohnungen beschallten. Ihre Platten gelangten nicht in den offiziellen Handel, sondern wurden von Hand zu Hand weitergereicht. Reich wurden sie damit nicht, begründeten aber dafür Berlins heute verblassten Ruhm als Hauptstadt der Anarchie. 1982 wurde die Ulmer Theaterwissenschaftlerin Claudia Roth Managerin der Band und versuchte, sie zu professionalisieren. Drei Jahre später löste sich die Gruppe auf. Rio Reiser machte sich selbständig und hatte mit "König von Deutschland" seinen größten Hit. In Claudia Roth, inzwischen Grünen-Politikerin, bekommt Deutschlands Kultur nun immerhin eine Königin, vulgo Kulturstaatsministerin.

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