Geldpolitik:Die Inflationsampel

Geldpolitik: EZB-Tower in Frankfurt am Main: Die Sorge der Verbraucher steigt.

EZB-Tower in Frankfurt am Main: Die Sorge der Verbraucher steigt.

(Foto: Michael Probst/AP)

Die Europäische Zentralbank hat durchaus Gründe, trotz besorgniserregend steigender Preise vorsichtig zu bleiben. Aber wenn sie nicht bald reagiert, verliert sie womöglich die Kontrolle .

Von Marc Beise

Von Alan Greenspan, dem legendären früheren Chef der amerikanischen Notenbank Fed, ist bekannt, dass er jeden Morgen um 5.30 Uhr in die Badewanne stieg, um in dampfend heißem Wasser über die Geldpolitik nachzudenken. Wenn das ein Erfolgsrezept gewesen sein sollte, kann man der europäischen Notenbankchefin Christine Lagarde nur raten, jetzt viel und heiß zu baden. Denn die EZB muss ein heikles Problem lösen: Soll sie trotz hoher Inflation weitermachen wie bisher - oder eine Abkehr von ihrer Politik des billigen Geldes ankündigen?

In ihrer Sitzung am Donnerstag hat sie agiert wie zuletzt immer - indem sie nichts tat. Weil aber viele Experten und erst recht vorlaute Politiker das Gegenteil fordern, sind die Menschen zunehmend verunsichert, die einen Kredit aufnehmen, eine Immobilie finanzieren oder die Altersvorsorge planen wollen.

Tatsache ist, dass die Preise zuletzt stark gestiegen sind und die Inflation unerwartet hoch ist - in Deutschland so hoch wie seit 30 Jahren nicht. Das hat, natürlich, die EZB gemerkt; auch Notenbanker kaufen ein. Und sie hören auch den anschwellenden Chor derer, die die Geldschleusen schließen und die Zinsen erhöhen wollen. Aber Lagarde und die Mehrheit im Rat haben sich früh darauf festgelegt, dass die Geldentwertung sich wieder normalisieren werde. Folgerichtig lehnen sie eine Änderung ihres Kurses ab. Ob das richtig oder falsch ist, ist keine Rechenaufgabe: 1 + 1 = 2. Sondern eine Rechnung mit Unbekannten.

Wenn die kleinsten Signale zählen

So viel kann man sagen: Die Anzeichen mehren sich, dass die von der EZB bisher favorisierten Gründe für die Inflation - Lieferengpässe, vorübergehende Störungen bei der Energieförderung und anderes - nur ein Teil des Bildes sind. Andere Faktoren - weitere Corona-Unsicherheit, die neue Klimapolitik, Kriegsgefahr - machen es wahrscheinlich, dass die Inflation entgegen früheren Annahmen anhaltend hoch bleibt. Also spricht viel dafür, jetzt gegenzusteuern.

Zumal die Fed, die früher auf EZB-Kurs war, sich mittlerweile berichtigt hat, Zinserhöhungen in gleich mehren Schritten werden erwartet. Aber die Lage ist nicht unbedingt vergleichbar. Der Aufschwung in den USA ist stärker und die Inflation höher als in Europa. Auch die Bank von England reagiert hart, aber sie muss nicht einen ganzen Währungsraum ausbalancieren. Geldpolitik ist ein heikles Geschäft, es kommt auf kleinste Signale an. Mal eben hoch oder runter, und das im falschen Moment, kann schnell heftigen wirtschaftlichen Schaden anrichten.

Sehr wohl abzuschätzen ist aber die kommunikative Wirkung der Geldpolitik, und hier ist Gefahr im Verzug. Indem die EZB sich so gar nicht bewegt, nährt sie den Verdacht, dass sie nicht sieht, was sie nicht sehen will. Dass es ihr vielleicht gar nicht um die Stabilität des Geldes geht, sondern um die Finanzierung überschuldeter Euro-Staaten. Solche Debatten schaden ihrer Akzeptanz beim Verbraucher und schwächen ihren Einfluss auf die Profis an den Finanzmärkten.

Deshalb muss die EZB dringend signalisieren, dass sie sieht, wie sich die Lage verändert. Einen ersten kleinen Schritt in diese Richtung hat Lagarde getan, indem sie ihre Prognose, dass es dieses Jahr zu keiner Zinserhöhung kommen wird, ausdrücklich nicht wiederholt hat. Das reicht aber nicht. Die Europäische Zentralbank muss die Bedingungen formulieren, unter denen sie handeln will, und analog zur vielzitierten Corona-Ampel eine Inflationsampel erfinden. Und die Zeit eilt.

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