Globalisierung:Chippageddon

Globalisierung: Chipherstellung im chinesischen Sihong: Der Rückfall in alte Autarkie-Dogmen ist nicht die Lösung.

Chipherstellung im chinesischen Sihong: Der Rückfall in alte Autarkie-Dogmen ist nicht die Lösung.

(Foto: STR/AFP)

Der Mangel an Chips ist bedrohlich für die europäische Industrie. Aber der Gedanke der Selbstversorgung führt trotzdem in die Irre.

Von Nikolaus Piper

Zu den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie gehört Knappheit in ganz neuer Form. Das Coronavirus legte zunächst Fabriken in China und Norditalien lahm, Handelsrouten wurden unterbrochen, weil Häfen schließen mussten. Die Folgen hätte sich, zumindest in den reichen Ländern der Welt, bis vor Kurzem niemand vorstellen können: Wichtige Produkte konnte man plötzlich nicht mehr kaufen, so sehr man sich auch bemühte. Erst waren es Masken und Medikamente, heute sind es vor allem Chips. Die Halbleiter, auf denen sie aufbauen - ein unverzichtbarer Rohstoff für die moderne Industrie -, sind mittlerweile so rar, dass etwa Volkswagen erwägt, die Nachtschicht zu streichen.

Der bedrohliche Mangel ist eine der Ursachen für die gestiegene Inflation. Er führt Europäern und Amerikanern vor Augen, wie verletzlich ihre Wirtschaft geworden ist und wie sehr sie sich darauf verlassen hatten, dass die Zulieferung aus chinesischen, taiwanischen und koreanischen Fabriken schon funktionieren würde. Kein Wunder, dass die gestörten "Wertschöpfungsketten" inzwischen in die Alltagssprache eingegangen ist. Weil der Mangel so komplex ist, sprechen manche bereits von "Chippageddon", eine Verballhornung von Armageddon, der letzten Schlacht aus der Offenbarung des Johannes. Könnte es sein, dass "wir es mit der Globalisierung übertrieben haben?", fragte der für den Binnenmarkt zuständige EU-Kommissar Thierry Breton einmal.

Die meisten Politiker und Lobbyisten in Berlin und Brüssel würden es so drastisch nicht formulieren. Aber der "Chips Act", den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag in Brüssel vorstellte, ist geprägt von diesem Gedanken: Die europäische Chipindustrie ist gegenüber der asiatischen Konkurrenz ins Hintertreffen geraten und muss jetzt massiv gefördert werden. Daher will die EU elf Milliarden Euro für die Entwicklung und den Bau von Chips in Europa ausgeben. Dazu kommen Subventionen der Mitgliedstaaten. Ziel sei, so Kommissar Breton, die "strategische Autonomie" der EU.

Die Ideologie der Selbstversorgung

Eben. Autonomie, das klingt verdächtig nach "Autarkie", der Ideologie der Selbstversorgung also, nach der ein Land am besten dran ist, wenn es möglichst alle wichtigen Dinge selbst herstellt. Dabei zeigt die deutsche Erfahrung seit 70 Jahren, dass das Gegenteil gilt: Internationale Arbeitsteilung schafft Wohlstand. Selbstverständlich versucht heute niemand mehr, im primitiven Sinne autark zu werden. Aber weltweit halten es Regierungen mittlerweile für erstrebenswert, Produktion und Arbeitsplätze aus dem Ausland nach Hause zu holen, wofür es den schönen Begriff Reshoring gibt. Ganz besonders gilt das für die Chipindustrie. In den USA hat Präsident Joe Biden den "Chips for America Act" an den Kongress geschickt. Das Gesetz sieht Subventionen von 52 Milliarden Dollar für die Chip-Fabriken vor und gilt als Vorbild für die entsprechenden EU-Pläne. Auch die Volksrepublik China fördert ihre Chip-Produktion massiv.

Zugegeben, das macht die Sache für die EU kompliziert. Selbst wenn alle in Brüssel von den Vorzügen der Globalisierung überzeugt wären - was sie nicht sind -, könnten sie nicht die Tatsache ignorieren, dass die Vereinigten Staaten strategisch vorgehen und die Volksrepublik China Chip-Fabriken als Mittel der Großmarktpolitik einsetzt. Es wäre daher naiv, von den Europäern zu verlangen, aus dem globalen Subventionswettlauf einfach auszusteigen. Aber muss man ihn deshalb beschleunigen?

Die alten Argumente gegen Industriepolitik und Abschottung sind ja durch die Pandemie nicht falsch geworden. Behörden laufen immer Gefahr, die falschen Fabriken zu fördern (woher weiß man, welche Chips in welcher Menge dann gebraucht werden, wenn die subventionierten Anlagen einmal fertig sind?). Sie fördern tendenziell teure Produktionen, die durch Subventionen erst wettbewerbsfähig gemacht werden müssen. Stutzig macht, dass die deutschen Industrieverbände, einschließlich des BDI, die EU-Pläne so überschwänglich begrüßen.

Mehr Globalisierung wagen

Reshoring macht die Wirtschaft eines Landes nicht sicherer, sondern ärmer, gerade in der Chipindustrie. Die Lösung für die Krise der Wertschöpfungskette sei, so schreibt der britische Historiker Harold James, "widerstandsfähige und diverse Netze aufzubauen, die nicht von einer Quelle abhängen, sondern mehr und nicht weniger Verbindungen rund um die Welt knüpfen". Nicht weniger, sondern mehr Globalisierung also. Positiv ist vor diesem Hintergrund, dass die EU sich vermehrt um Kooperation mit anderen Produzenten auf der Welt bemühen will. Richtig wäre es auch, Forschungen zum Design von Chips zu fördern und den Mangel an Fachkräften in der IT zu bekämpfen.

Nicht zu übersehen ist dabei auch das "politische Risiko" (der österreichische Ökonom Gabriel Felbermayr) staatlicher Industriepolitik. Das Misstrauen steigt, wenn das eine Land fürchten muss, das andere könnte die Ausfuhr eines wichtigen Rohstoffes drosseln oder die Einfuhr von Waren verweigern. Besser also, den Chips Act nur sehr knapp dosiert anzuwenden.

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