Es sind dunkle Zeiten. Nach Monaten der Pandemie vertiefen sich in den Ländern Europas die Brüche, die Volkswirtschaften stehen unter Stress. Amerikas Ego-Präsident Donald Trump gibt den Europäern jeden Anlass, sich allein zu fühlen in der Welt. Da wirkt ein Gast aus der Ferne wie gerufen.
Er bereist dieser Tage mit froher Kunde den Kontinent. China werde helfen, die Wirtschaft anzukurbeln, verspricht Außenminister Wang Yi, es stehe an der Seite Europas gegen "Hass und Konfrontation". Auch, wenn er an diesem Dienstag Außenminister Heiko Maas trifft, wird Wang Yi sein Land als Helfer in der Not besingen. Klänge es nicht so falsch, es wäre ein verlockendes Lied.
Geschickt knüpft Wang dort an, wo Emmanuel Macron die Union in seinen Europa-Visionen hinführen möchte. In Paris hat der Außenminister sich als großer Anhänger einer Souveränität Europas zu erkennen gegeben, wie der französische Präsident sie fordert.
Er hat ein Bündnis jener beschworen, die in den internationalen Beziehungen verantwortungsbewusst handeln wollen. China und Europa sollen zusammenstehen gegen den erratischen Amerikaner, welcher der Welt einen neuen kalten Krieg aufzwingt. Wer an dieses Bündnis glauben wollte, müsste freilich vorher Augen, Ohren und Nase schließen.
Anders wäre der Machtanspruch kaum zu ignorieren, mit dem China sein totalitäres System ausgerechnet während der Corona-Pandemie vermarktet, die in Wuhan ihren Ausgang nahm. Es wäre die Verlogenheit nicht zu ertragen, mit der Chinas Kommunisten sich als Verfechter des Völkerrechts ausgeben und zugleich internationale Vereinbarungen mit Füßen treten, die das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" für Hongkong garantieren. Und anders wäre auch der herrische Ton nicht zu überhören, in dem von Peking aus Befehl erteilt wird, mit welchen Chinesen westliche Politiker reden dürfen und mit welchen nicht.
Die einst schwärmerische deutsche Industrie klagt längst über das unfaire Gebaren der chinesischen Seite
Wann immer diese Befehle missachtet werden, fällt die freundliche Maske. So hat Außenminister Wang dem tschechischen Senatspräsidenten Miloš Vystrčil angedroht, er werde für sein "kurzsichtiges Verhalten" einen "hohen Preis" zahlen. Vystrčil hat es gewagt, mit einer Delegation nach Taiwan aufzubrechen. Ähnlicher Druck erwartet jeden europäischen Amtsträger, der sich mit den Vertretern der Demokratiebewegung in Hongkong trifft. Die für Europäer selbstverständliche Solidarität mit verfolgten Demokraten will China untersagen.
Wer das alles nicht wahrnehmen will oder für das gute Recht Chinas hält, macht sich trotzdem etwas vor, wenn er unter der Führung der Kommunistischen Partei nur ein Land der wirtschaftlichen Möglichkeiten sieht.
Die einst schwärmerische deutsche Industrie klagt längst über das unfaire Gebaren der chinesischen Seite. In China gibt es keine Freiheit, auch keine wirtschaftliche. Die europäische Forderung nach Reziprozität, gegenseitiger Gleichbehandlung, widerspricht der ganzen Logik des chinesischen Staatskapitalismus, in dem alles unter Aufsicht der Partei steht - übrigens auch der Huawei-Konzern, der in Deutschland und anderswo in Europa sensible Infrastruktur für das 5G-Netz errichten will.
Der Weg zu echter europäischer Souveränität ist weit. Ganz sicher aber führt er nicht über Peking.