Cheryl Johnson:Plötzlich Volksheldin

Cheryl Johnson: Bitte Ruhe im Haus: Cheryl Johnson.

Bitte Ruhe im Haus: Cheryl Johnson.

(Foto: Mandel Ngan/AFP)

"Johnson for Speaker!" - wie die Frau, die im US-Repräsentantenhaus als eine Art Schriftführerin dient, unerwartet zur Berühmtheit wurde.

Von Peter Burghardt, Washington

Es ist wahrscheinlich kein sonderlich gutes Zeichen für ein Parlament, wenn eine Aufseherin gleich tagelang die Kontrolle übernehmen muss. Aber genau das geschah im amerikanischen Repräsentantenhaus, wo Cheryl L. Johnson in der vergangenen Woche deutlich länger auf diese 434 Abgeordneten achten musste als geplant, weil sie es ja erst nach vier Tagen und etlichen Turbulenzen im 15. Wahlgang schafften, Kevin McCarthy zum Sprecher zu wählen. Dies waren die großen Momente für sie, deren offizielle Rolle Clerk of the United States House of Representatives lautet. Zumindest sie erledigte ihren Auftrag mit Bravour.

Johnson ist eine Art Schriftführerin in dieser Kammer, besser Chefbeamtin und Cheforganisatorin, nun war sie ersatzweise deren Vorsitzende. Denn zu ihren Aufgaben gehört es, den Speaker oder die Sprecherin zu vertreten, ehe sie oder er offiziell vereidigt wurde. Bisher hatte das Speaker-Amt Nancy Pelosi gehabt, die Demokratin. Jetzt wurde es neu vergeben, an die knappe Mehrheit der Republikaner. Das zog sich wegen der republikanischen Lagerkämpfe dermaßen hin, dass diese Frau zur prägenden Figur einer Reality Show wurde.

Auch Millionen Fernsehzuschauer auf der Welt konnten sehen und hören, wie sie am Pult stand, auf dem der Hammer liegt, den erst mit historischer Verspätung dann McCarthy erbeutete. Eine Autorität mit markanter Brille, meist farbigem Kostüm und einem Gesicht, das selbst in chaotischen Momenten eine Oase der Ruhe blieb. Die feste Stimme vermittelte der Runde und dem Publikum, dass wenigstens sie die Sache im Griff hatte. Das war beruhigend, ansonsten lief dieser Start des 118. Kongresses ja etwas aus dem Ruder.

Sie bat die Männer und Frauen jedes Mal aufs Neue darum, ihre Kandidaten zu nennen und dann zur Abstimmung überzugehen. Danach, als ausgezählt worden war, verkündete sie stets das bis Freitagabend immer gleiche Ergebnis. "Ein Sprecher des Hauses wurde nicht gewählt", fasste sie 14 Mal am Ende der Prozedur zusammen, ehe dann in der Nacht zum Samstag in Runde 15 doch noch der Speaker McCarthy seine nötigen Stimmen eingesammelt hatte. Zwischendurch rief sie die Versammelten mehrfach zur Raison, wenn gepöbelt wurde.

"Die einzige Verteidigung gegen die totale Dysfunktion"

Sie machte ihren Job mit einer souveränen Gelassenheit, die dem Drama mitunter die Dramatik nahm. Ein schöner Kontrast zur phasenweisen Anarchie im Plenum. Johnson habe sich manchmal "wie die einzige Verteidigung gegen die totale Dysfunktion angefühlt", findet zu Recht die BBC. "Eine unwahrscheinliche Volksheldin", schreibt Bloomberg News. "Sie war außergewöhnlich", twitterte der demokratische Abgeordnete Ro Khanna aus Kalifornien, "ohne dass irgendwelche Regeln verabschiedet wurden, und mit einem gewissen Sinn für Fairness und Ordnung."

Cheryl L. Johnson, geboren 1960 in New Orleans, hat Journalismus studiert, Jura und Management, unter anderem in Harvard. Sie lebt mit ihrer Familie am Rande von Washington und arbeitete in verschiedenen Funktionen schon 20 Jahre auf dem Capitol Hill, bevor sie zehn Jahre zur Smithsonian Institution wechselte. Im Februar 2019 wurde sie House Clerk, als erst zweite Schwarze und vierte Frau auf diesem Traditionsposten.

Schwierige Momente hatte sie schon vor ihrem ausgedehnten Härtetest erlebt, darunter zwei Impeachment-Anhörungen gegen Donald Trump sowie den Überfall auf das Kapitol vom 6. Januar 2021. Zwei Jahre später verzog sie keine Miene und führte die aufgeregten Volksvertreter durch diese Odyssee, bis der Republikaner McCarthy tatsächlich den Hammer bekam. "Lassen Sie mich zunächst meine tiefe Wertschätzung und die Wertschätzung aller in diesem Raum für die Arbeit zum Ausdruck bringen, die Sie leisten, Madame Clerk", sagte der republikanische Abgeordnete French Hill, als er fürs Erste wieder vergeblich McCarthy aufstellte. Da rief jemand, was viele dachten: "Johnson for Speaker!"

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