Friedrich Merz war noch gar nicht offiziell zum Parteichef der CDU gewählt, da gab er im Spiegel schon den Aufräumer: "Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an."
Nun ist Zusammenarbeit ein interpretationsbedürftiger Begriff. Wenn ein Berufsprovokateur wie Max Otte mit Hilfe von Rechtsextremen Bundespräsident werden will, liegt der Fall klar. Was aber ist mit Christdemokraten, die der AfD den Boden bereiten? So wie der Vize-Landrat aus Bautzen, der ankündigte, die gesetzliche Impfpflicht nicht umzusetzen, sich dafür von Corona-Protestlern feiern ließ wie einst Hans-Dietrich Genscher von ausreisewilligen DDR-Bürgern vor der Prager Botschaft. Oder der Baubürgermeister aus Freiberg, der den Umgang mit Ungeimpften mit dem Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich verglich. Seine Abwahl im Stadtrat scheiterte, größte Fraktion dort: die AfD.
In der Klimakrise wird vor Kipppunkten gewarnt, an denen Prozesse wie Erderwärmung und Gletscherschmelze unumkehrbar werden, selbstverstärkend sogar. In Sachsen, wo das gesellschaftliche Klima seit Jahren aufgeheizt ist, hat die Regierungspartei CDU lange, zu lange, keine nennenswerten Maßnahmen ergriffen. Jetzt kippt es eben: auf der Straße, in den Kommunalparlamenten, in den eigenen Reihen.
In Sachsen sind gern mal "die da oben" schuld
Im Sommer sind Landratswahlen im Freistaat. Wahrscheinlich sind danach nicht mehr hauptsächlich CDU-Männer im Amt. Schon bei der Bundestagswahl gingen von 16 Direktmandaten zehn an die AfD. Danach rief Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer seinen Landesverband zur Erneuerung auf. Man müsse die Basis verbreitern, verjüngen, bitte alle mitmachen! Die Basis dankte es ihrem Parteichef mit einem Wiederwahlergebnis von mageren 76 Prozent. In Sachsen sind ja gern mal "die da oben" schuld, die Union ist da keine Ausnahme. Die Landräte revoltieren inzwischen geschlossen gegen die Impfpflicht. Kretschmer, jüngst ins Stellvertreterteam um Merz gewählt, genießt in der Hauptstadt offenbar mehr Rückhalt als daheim. Seine Strategie - mit allen über alles reden - muss als gescheitert gelten. Fackelzüge, Morddrohungen, wann sind Demokratiefeinde zuletzt so selbstbewusst aufgetreten?
Teilen der CDU fehlt es an Wachsamkeit, an Wissen, am Willen, sich vorzustellen, dass auch Menschen in bunten Funktionsjacken ein rechtsextremes Weltbild haben können. Dass es für die Radikalisierung der sogenannten Mitte kein "Kinderfest" der NPD mehr braucht, sondern nur die Telegram-App. Stattdessen herrscht nicht nur in Bautzen die Hoffnung, dass AfD-Wähler vernachlässigte Christdemokraten sind, die man umstimmen kann: Man muss dafür nur ein Bundesgesetz brechen oder Völkermord verharmlosen.
Friedrich Merz kann den Zeigefinger heben, wie er will: Wenn die Parteiverantwortlichen im Osten ihr verhaltensauffälliges Personal nicht maßregeln, werden seine "glasklaren Ansagen" ohne Folgen bleiben. Sei es Hans-Georg Maaßens Fanklub in Südthüringen oder der Rundfunkkrieg in Sachsen-Anhalt - wenn es dann Kritik hagelt, beruft man sich auf Satzungen, auf Binnenpluralität. Klingt alles besser als Machterhalt um jeden Preis. Bautzens Vize-Landrat ist jedenfalls noch im Amt und noch in der CDU. Er sei "fehlinterpretiert" worden, sagt Udo Witschas. Im Juni will er sich trotz allem zum Landrat wählen lassen. Die AfD kann sich keinen besseren Wahlkämpfer wünschen.