Profil:Julia Ducournau

Regisseurin und Gewinnerin der Goldenen Palme von Cannes

Von David Steinitz

"Danke, dass Sie die Monster reingelassen haben", sagte die Regisseurin Julia Ducournau zur Jury im Festivalpalast bei der Preisverleihung in Cannes. Die 37-jährige Französin wurde am Samstagabend mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Sie ist erst die zweite Frau, die den Hauptpreis des Festivals bekommt; die erste war die Neuseeländerin Jane Campion für "Das Piano" - und das ist auch schon wieder fast 30 Jahre her.

Warum Julia Ducournau sich freut, dass auch "Monster" in Cannes willkommen sind? Ihr Siegerwerk "Titane" ist, vorsichtig formuliert, eher kein konventionelles Kinostück, sondern vielmehr die Begründung eines neuen Genres, das man kurz und knapp als Autosexhorrorfilm bezeichnen könnte.

"Titane" erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die als Stripperin bei einer Autoshow arbeitet und jeden tötet, der ihr zu nahekommt. Beim Sex mit einem Ausstellungsauto wird sie schwanger, Motoröl läuft aus ihren Brüsten. Schließlich flüchtet sie wegen ihrer Morde vor der Polizei und nimmt eine neue Identität an.

Ob das noch Kunst ist oder schon gaga, darüber wurde in den vergangenen Tagen in Cannes natürlich leidenschaftlich gestritten. Ducournaus Filme sind aber kein marktschreierischer Pornotrash, wie es die knappe Zusammenfassung ihrer Geschichten vermuten lassen könnte. Vielmehr sind sie eine radikale Umsetzung jener Diversitätsversprechen, von denen konservative Kinoinstitutionen wie Filmfestivals oft reden, sie aber selten liefern.

Ducournau dreht Filme, in denen klassische Gesellschafts- und Geschlechtsstrukturen sich längst aufgelöst haben oder zumindest im Auflösen begriffen sind. Am liebsten wäre es ihr, erklärt sie gern in Interviews, wenn Geschlechtszuschreibungen auch in der Realität keine so große Rolle mehr spielen würden: "Ich möchte nicht, dass mein Geschlecht mich definiert. Ich bin Filmemacherin und mache Filme, weil ich ich bin, nicht weil ich eine Frau bin."

Julia Ducournau wurde 1983 in Paris geboren, wo sie auch aufwuchs und später die legendäre Filmhochschule La Fémis besuchte. 2008 schloss sie ihr Studium ab. Für einige Zeit arbeitete sie als Drehbuchautorin und Skriptberaterin für verschiedene Produktionsfirmen. 2011 drehte sie den Kurzfilm "Junior", der ein Jahr später bei den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen mit einem Preis ausgezeichnet wurde.

Richtig bekannt wurde sie aber erst 2016 durch ihren ersten Spielfilm. "Raw" feierte ebenfalls Premiere in Cannes, damals noch nicht im offiziellen Wettbewerb um die Goldene Palme, sondern in der "Semaine de la Critique", einer Nebenreihe des Festivals. Der Film erzählt die Geschichte der Studentin Justine, die als Vegetariern aufgewachsen ist. Aber plötzlich wird sie von einer unheimlichen Fleischeslust heimgesucht, die sich bald nicht mehr nur durch tierisches Fleisch befriedigen lässt. Ducournau recherchierte lange zur Geschichte des Kannibalismus. Ihre Hauptfigur sollte anders sein als alle anderen Frauenfiguren, die sonst im Kino und im Fernsehen zu sehen sind, jenseits aller Hollywoodklischees.

"Raw" war für die kleine Independentproduktion, die er ist, ein Überraschungserfolg, an den die Regisseurin nun mit ihrem zweiten Spielfilm "Titane" anschließen kann. Die Goldene Palme stellt sie in eine Reihe mit früheren Preisträgern und Regielegenden wie Francis Ford Coppola, Lars von Trier und Quentin Tarantino.

Ihr Preisträgerfilm, den sie selbst so gern als "Monster" bezeichnet, wurde bereits von einem Verleih aufgekauft, der ihn demnächst auch in Deutschland ins Kino bringen wird, wo er gewiss nochmal für Diskussionen sorgen wird. "Monstrosität", sagt Ducournau, "ist für mich etwas Positives. Es entlarvt all die normativen Spielarten der Gesellschaft und des gesellschaftlichen Lebens."

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