Die AfD hat in Karlsruhe einen Rechtsstreit gegen den Bundesinnenminister gewonnen und mag das als weiteren Erfolg ihrer Strategie der planvollen Diskreditierung staatlicher Institutionen ansehen. Horst Seehofer durfte seine Ansicht, die AfD sei "staatszersetzend", jedenfalls nicht via Ministeriumshomepage weiterverbreiten, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Gemessen an den Regeln des Prozessrechts hat er sich damit eine Niederlage eingehandelt. In Wahrheit aber ist das Urteil ein Erfolg für Seehofer als Parteipolitiker und auch als Minister - und für die politische Debatte insgesamt.
Genau besehen hat Karlsruhe nur eine Petitesse beanstandet: dass das Ministerium ein Interview auf die eigene Homepage gestellt und damit auf staatliche Ressourcen zurückgegriffen hat. Ein wenig regierungseigener Speicherplatz wurde genutzt, mehr war nicht. Vom Inhalt seiner Kritik muss Horst Seehofer kein Wort zurücknehmen.

Bundesverfassungsgericht:Erfolg für AfD-Klage gegen Seehofer
2018 warf der Bundesinnenminister der AfD in einem Interview "staatszersetzendes" Verhalten vor. Den Text mit seiner Äußerung hätte er daraufhin nicht auf der Seite des Ministeriums veröffentlichen dürfen, so die Karlsruher Richter.
Das Urteil mag auf den ersten Blick kleinlich wirken. Aber diese Rechtsprechung, wonach staatliche Mittel nicht zur Wählerbeeinflussung gegen Oppositionsparteien in Anschlag gebracht werden dürfen, geht auf die Siebzigerjahre zurück, als die sozial-liberale Bundesregierung vor der Wahl aus Haushaltsmitteln eine massive Anzeigenkampagne finanziert hatte. Der Grundsatz, dass staatliche Autorität und Finanzkraft nicht zur Bekämpfung der Opposition missbraucht werden darf, ist auch heute noch richtig.
Entscheidend aber ist etwas anderes: Karlsruhe hat die Mitglieder der Regierung keineswegs dazu verurteilt, nur noch in aseptischer Sachlichkeit über Parteien der politischen Konkurrenz zu reden. Das Bundesverfassungsgericht stellt ausdrücklich fest, dass es Horst Seehofer unbenommen war, klare und harte Worte über die AfD zu finden. Sie stelle sich gegen den Staat; ihr Vorgehen sei einfach schäbig; er sei erschrocken über dieses kollektive Ausmaß an Emotionalität und die Wutausbrüche - all dies durfte Seehofer über die größte Oppositionspartei sagen und auf die Formel "staatszersetzend" bringen. Dass man solche Dinge nur aussprechen darf, wenn man nicht ausschließlich als Regierungsmitglied spricht, ist eine etwas künstliche, aber eben auch hinnehmbare Einschränkung. Wenn Seehofer als Parteipolitiker poltert, dann begreift ohnehin jeder, dass hier auch der Minister spricht.
Spielraum für scharfe Rhetorik
Mit dem Urteil bleibt der Regierung genügend Spielraum, auch mit scharfer Rhetorik gegenzuhalten, wo immer es nötig ist. Das ist wichtig in einer Zeit, in der die politische Auseinandersetzung härter geworden ist. Man kann kalkulierte Tabubrüche und schäbige Attacken im politischen Wettbewerb nicht wegsäuseln.
Zugleich hält sich das Bundesverfassungsgericht als Schiedsrichter im Spiel. Man mag es sich nicht ausmalen, aber es kann passieren, dass dereinst die AfD in der Regierung ist. Ihr Prozessbevollmächtigter hatte in der Karlsruher Anhörung vor vier Monaten süffisant mit diesem Gedanken gespielt. Die Vorstellung, der politische Diskurs könnte unter tätiger Mithilfe eines Regierungsmitglieds völlig aus dem Ruder laufen, ist also kein völlig realitätsfernes Szenario, das lehrt schon der Blick in die Vereinigten Staaten. Dann könnte es wirklich wichtig werden, dass Karlsruhe eingreift.