Bundestag:Das Parlament verzwergt sich selbst

Nach der Flut-Katastrophe in Rheinland-Pfalz

Anwohner versuchen in Bad Neuenahr-Ahrweiler, ihre Häuser vom Schlamm zu befreien. Wurden sie zu spät gewarnt?

(Foto: Thomas Frey/dpa)

Union und SPD machen lieber Pause, als im Parlament über aktuelle Krisen zu debattieren. Bei den Betroffenen hinterlässt das einen gefährlichen Eindruck.

Kommentar von Robert Roßmann, Berlin

Es ist immer wieder erstaunlich, wie klein sich der Bundestag selbst macht. In Deutschland steigen die Corona-Zahlen. Und im ganzen Land wird darüber diskutiert, was jetzt zu tun ist: Wie soll mit Menschen umgangen werden, die sich nicht impfen lassen wollen? Was muss geschehen, damit der Unterricht im neuen Schuljahr funktioniert? Sollen auch Jugendliche geimpft werden? Alles wichtige Fragen - doch im Bundestag herrscht Stille.

Auch die schlimmste Flutkatastrophe seit mehr als einem halben Jahrhundert hat daran nichts geändert. In Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sind mehr als 170 Menschen ums Leben gekommen. Viele Orte sind großflächig zerstört, Zigtausende bangen um ihre ökonomische Existenz. Die Katastrophe hat auch die Auseinandersetzung über den Klimaschutz verschärft. Doch der Bundestag ist seit dem 25. Juni in der Sommerpause - und bisher machen die Abgeordneten keine Anstalten, diese zu unterbrechen. Die nächste Sitzung ist derzeit erst für den 7. September terminiert.

Die FDP hat zwar eine Sondersitzung des Parlaments in dieser Woche verlangt, um über die Corona-Politik und die Folgen der Flut zu diskutieren. Auch die Grünen haben sich für eine schnelle Zusammenkunft ausgesprochen. Doch Union und SPD haben erklärt, dass sie "nicht die Notwendigkeit" für eine Sondersitzung in dieser Woche sehen.

Soll ein Parlament denn nur passiv auf die Regierung verweisen?

Die beiden Koalitionsfraktionen betonen, dass die Bundesregierung bereits Soforthilfen für die Hochwassergeschädigten auf den Weg gebracht habe. Und sie verweisen darauf, dass es Sondersitzungen von Ausschüssen des Bundestages gegeben habe, in denen die Fachpolitiker "von der Bundesregierung informiert wurden und sich über die anstehenden Fragen austauschen konnten". Das ist richtig. Aber das ersetzt doch nicht öffentliche Debatten des gesamten Bundestags. Außerdem sollte ein Parlament nicht nur passiv auf Maßnahmen der Regierung verweisen, sondern selbst aktiv werden.

Natürlich haben auch Abgeordnete das Recht auf einen Sommerurlaub. Wegen des Bundestagswahlkampfs fällt er für die meisten von ihnen in diesem Jahr deutlich kürzer aus als normalerweise. Sondersitzungen des Parlaments sollten deshalb tatsächlich nicht inflationär und ohne Not angesetzt werden. Aber die Pandemie und die Hochwasser-Katastrophe sind Notlagen. Ein Parlament, das sogar in solchen Situationen das Feld der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten überlässt, verzwergt sich selbst. Das ist nicht nur demokratietheoretisch zu verurteilen. Es hinterlässt bei vielen Betroffenen auch den gefährlichen Eindruck, dass ausgerechnet die gewählte Volksvertretung die Nöte der Bürger nicht gebührend ernst nimmt.

Union und SPD sagen, sie seien zu einer Sondersitzung des Bundestags bereit, sobald "gesetzgeberischer Handlungsbedarf" bestehe. Auch mit diesem Hinweis machen sie das Parlament unnötig klein. Es stimmt zwar, dass die Regierung noch keinen Entwurf für den geplanten Wiederaufbaufonds vorgelegt hat - und dass der Gesetzentwurf zum Insolvenzrecht für Hochwasser-Opfer erst wenige Stunden alt ist. Aber der Bundestag ist doch nicht nur dafür da, Gesetzesvorlagen der Regierung zu beschließen. Er muss auch das Zentrum der politischen Debatten sein wollen. Diese Maxime sollten endlich auch Union und SPD beherzigen.

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Claudia Moll

SZ PlusBundestag
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