Süddeutsche Zeitung

Bundespräsidenten-Wahl:Der erste Zocker im Staat

Natürlich verdankt Frank-Walter Steinmeier eine zweite Amtszeit als Bundespräsident auch den Grünen, die ihm nun den Weg geebnet haben. Vor allem aber liegt die voraussichtliche Wiederwahl an einem überraschenden Schachzug.

Kommentar von Robert Roßmann

Es ist fast auf den Tag genau zwei Jahre her, dass der Bundespräsident den Grünen einen ungewöhnlichen Besuch abgestattet hat. Die Partei feierte in einer Berliner Industriehalle ihren 40. Geburtstag - und Frank-Walter Steinmeier kam, um zu gratulieren. Die Grünen hätten "viel dazu beigetragen, dass dieses Land vielfältiger und moderner wird", sagte der Bundespräsident, dafür wolle er Danke sagen. Jetzt kann Steinmeier den Grünen erneut danken - denn am Dienstag haben sie den Weg für seine Wiederwahl frei gemacht. Vielfältiger und moderner machen die Grünen Deutschland damit aber nicht. Ausgerechnet das höchste Amt im Staat wurde noch nie einer Frau anvertraut - und dabei wird es jetzt auch bleiben.

Steinmeier hat die Grünen vor zwei Jahren auch dafür gelobt, dass sie in ihrer Geschichte gelernt hätten, Kompromisse einzugehen. Und genau das haben sie jetzt getan. Um des Koalitionsfriedens willen verzichten sie in diesem Fall auf das, was sie sonst so gerne fordern. An weiblicher, bunter und jünger denkt bei Steinmeier jedenfalls niemand.

Die SPD liegt bei 15 Prozent - und er erklärt seine Kandidatur

Man muss den Grünen aber zugute halten, dass es nach der Festlegung von SPD und FDP auf Steinmeier keine realistische Chance mehr für eine Bewerberin gegeben hat. CDU, CSU und Grüne haben auch zusammen keine Mehrheit in der Bundesversammlung, alle Spekulationen über eine grün-schwarze Kandidatin waren deshalb schon rechnerisch Träumereien. Denn auf die Linke hätte sich keiner verlassen wollen - sie wird voraussichtlich einen eigenen Kandidaten präsentieren. Und die AfD sollte keinesfalls die Gelegenheit bekommen, das Zünglein an der Waage zu sein.

Dass der Bundespräsident wiedergewählt werden wird, liegt aber vor allem an ihm selbst. In seinem langen politischen Leben hat Steinmeier mit einigen Vorwürfen leben müssen - dass er überraschend ins Risiko geht, gehörte nicht dazu. Umso erstaunlicher ist, dass er im Mai des vergangenen Jahres angekündigt hat, wieder antreten zu wollen. Die SPD lag damals in den Umfragen bei etwa 15 Prozent - und weit hinter Union und Grünen. Eine Mehrheit in der Bundesversammlung für ihn schien in weiter Ferne zu sein. Steinmeier riskierte, als amtierender Bundespräsident bei einer Wiederwahl-Kandidatur zu scheitern.

Die Union erlebt jetzt wie sich Opposition anfühlt

Nach dem Erfolg der SPD bei der Bundestagswahl stand Steinmeier dann schon mitten auf dem Platz - die Sozialdemokraten hätten gar nicht mehr die Chance gehabt, ohne Gesichtsverlust jemand anderes ins Rennen zu schicken. Wenn das Verb für das höchste Amt im Staat nicht unangemessen wäre, könnte man schreiben: Steinmeier hat sich erfolgreich eine zweite Amtszeit erzockt.

Und die Unionsparteien? Die müssen jetzt schmerzhaft erleben, wie hart das Leben in der Opposition ist. 16 Jahre lang saßen sie bei allen Entscheidungen mit am Tisch. Jetzt sind sie bei der Auswahl des Bundespräsidenten nur noch Zuschauer. CDU und CSU können lediglich entscheiden, ob sie Steinmeier mitwählen, sich enthalten oder einen aussichtslosen Zählkandidaten aufstellen.

Und so wird sich Steinmeier, der seine Kandidatur in beinahe aussichtsloser Lage erklärt hat, in der Bundesversammlung aller Voraussicht nach über eine besonders breite Mehrheit freuen dürfen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5501432
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/kus
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.