Süddeutsche Zeitung

Diplomatie:Macht und Ohnmacht

In der Ukraine-Krise finden sich die Europäer als Randfiguren wieder, obwohl es um die Sicherheit auf ihrem eigenen Kontinent geht. Was Bundeskanzler Olaf Scholz daran ändern könnte.

Kommentar von Daniel Brössler

Olaf Scholz bekleidet seit einigen Wochen eines der mächtigsten Ämter, die es in Europa zu vergeben gibt. Aber diese wenigen Wochen haben auch genügt, um ihm die Grenzen dieser Macht vor Augen zu führen. Im Osten Europas droht Krieg. Der deutsche Bundeskanzler muss alles in seiner Macht Stehende tun, das zu verhindern, und dabei feststellen: Schrecklich viel ist es nicht. Eine handlungsfähige und strategisch souveräne EU sei die Grundlage für Frieden und Wohlstand, steht im Koalitionsvertrag. In der Reaktion auf den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine zeigt sich nun aber gerade, wie schlecht es um Handlungsfähigkeit und Souveränität Europas bestellt ist. Putin verhandelt mit US-Präsident Joe Biden. Scholz und die anderen Europäer spielen Nebenrollen.

Die Folgen sind im Koalitionsvertrag der Ampel ganz richtig beschrieben. Die Europäer sind bislang nicht in der Lage, aus eigener Kraft den Frieden auf dem Kontinent zu sichern. Sie müssen darauf vertrauen, dass es Biden gelingt, Putin von möglichen Angriffsplänen abzubringen - und darauf hoffen, dass die USA keinen Preis dafür akzeptieren, der auf längere Sicht zu noch mehr Unsicherheit auf dem Kontinent führt. So nachvollziehbar es ist, dass ein sozialdemokratischer Kanzler nun Inspiration in der Entspannungspolitik Willy Brandts sucht, so klar ist auch, dass er dort Antworten auf die hochgefährliche Lage heute nicht finden wird.

Im Unterschied zur Sowjetunion während des Kalten Krieges, die den Status quo zu erhalten trachtete, ist das Russland Wladimir Putins eine revanchistische Macht, die ihren Nachbarländern das Recht abspricht, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden. Die Behauptung, das riesige und militärisch übermächtige Russland werde durch die Ukraine gefährdet, ist so offenkundig absurd, dass sie das eigentliche Ziel kaum kaschiert. Russland geht es darum, in einer Einflusszone über die Geschicke anderer Völker zu bestimmen. Von der Nato fühlt es sich nicht allen Ernstes in seiner Sicherheit bedroht, wohl aber in diesem sich selbst zuerkannten Recht. Setzte es sich damit durch, bliebe von der postulierten europäischen Souveränität nichts als hohles Gerede.

Das hohe Gut der Unverletzlichkeit der Grenzen

Ziel europäischer und deutscher Politik muss es daher sein, sowohl einen Angriff auf die Ukraine abzuwenden als auch inakzeptable Zugeständnisse auf Kosten Dritter zu verhindern. In seiner Neujahrsansprache hat der Kanzler das hohe Gut der Unverletzlichkeit der Grenzen betont und klargestellt, dieses sei nicht verhandelbar. Das war eine wichtige Botschaft. Sie müsste, um glaubwürdig zu sein, aber ergänzt werden durch eine klare Beschreibung der Konsequenzen für den Fall eines russischen Angriffs. Gerade weil die Ukraine nicht auf militärischen Beistand hoffen kann, müssen Russland zumindest die wirtschaftlichen Strafmaßnahmen unmissverständlich kommuniziert werden. Hier spielt der deutsche Kanzler dann doch einen wichtigen Part.

Scholz kann dazu beitragen, Putin die Illusion zu nehmen, die Sanktionen nach einem Einmarsch im Nachbarland könnten überschaubar bleiben wegen der wirtschaftlichen Interessen der Europäer und ihrer Zerstrittenheit. Das Mindeste wäre nun vollständige Klarheit im Fall von Nord Stream 2: Wenn russische Soldaten die Grenze zur Ukraine überschreiten, darf durch die Pipeline kein Gas fließen. Wladimir Putin hätte es in der Hand.

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