Staatsschulden:Intellektuelle Obergrenze

Staatsschulden: Die Schuldenuhr in Berlin tickt fröhlich weiter, nicht zuletzt dank der Milliarden-Beschlüsse des Bundestags.

Die Schuldenuhr in Berlin tickt fröhlich weiter, nicht zuletzt dank der Milliarden-Beschlüsse des Bundestags.

(Foto: Chris Emil Janssen /imago images/Chris Emil Janßen)

Finanzminister Lindner will die Politik hoher Schulden beenden - zu Recht. Seine Partei verweigert sich aber bisher der Debatte, wo das Geld für die Zukunft des Landes stattdessen herkommen soll.

Kommentar von Claus Hulverscheidt

Man muss Christian Lindner attestieren, dass er die ersten Monate im neuen Amt mit Fleiß und Engagement, vor allem aber mit viel Pragmatismus absolviert hat. Statt die Steuern zu senken, Ausgaben zu kürzen und die Neuverschuldung drastisch zurückzuführen, wie es der einstige FDP-Lautsprecher zu Oppositionszeiten gern forderte, stellt der Bundesfinanzminister nun ohne jedes Murren jene Kredit-Milliarden zur Verfügung, die für die Bewältigung der Corona- und der Kriegsfolgen vonnöten sind. Selbst Wahlniederlagen hat er dafür in Kauf genommen.

Vom kommenden Jahr an nun will sich Lindner wieder stärker der eigenen Programmatik besinnen und die Politik hoher Schulden beenden. Auch das ist prinzipiell richtig, denn der Staat sollte, von essenziellen Investitionsvorhaben abgesehen, grundsätzlich mit dem Geld auskommen, das ihm Bürger und Unternehmen zur Verfügung stellen. Zwar ist die Mäkelei vieler Ökonomen an der Rigidität der deutschen Schuldenbremse nicht unberechtigt. Die Kritiker übersehen aber die Symbolkraft der Regel, die Regierungskoalitionen jedweder Farbkombination beständig mahnt, sorgsam mit dem Geld der Steuerzahler umzugehen. Dass Deutschland die jüngsten Krisen, finanziell gesehen, problemlos gemeistert hat, ist auch der Schuldenbremse zu verdanken.

So richtig viel einsparen lässt sich im Etat nichts mehr

Lindner hat also recht - und ist dennoch nicht auf dem rechten Kurs. Was nämlich bisher völlig fehlt, ist eine Grundsatzdebatte darüber, wie der Bund jene gewaltigen Aufgaben stemmen will, die in den nächsten zehn Jahren auf ihn zukommen. Allein die Energiewende, die durchgängige Digitalisierung des Landes, die Sanierung maroder Schulen und Universitäten, die Sicherung der Renten, die Modernisierung der Bundeswehr, die Stärkung von Eltern und Kindern, die verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine gerechte Bezahlung von Kümmerarbeit, die Stärkung des Zivilschutzes und der Pandemievorsorge werden Hunderte Milliarden Euro verschlingen.

Natürlich kann - und muss - ein Staat, der neue Prioritäten setzt, zugleich überlegen, an welch anderen Stellen er dafür sparen kann. Wahr ist aber auch: Die ganz großen Summen werden sich aus dem Haushalt nicht mehr herauspressen lassen, denn entgegen manchen Klischees sind etwa viele teure Subventionen längst abgeschafft - Beispiel Eigenheimzulage. Wenn aber Einsparungen nicht ansatzweise das bringen, was notwendig wäre, dann bleibt keine andere Möglichkeit, als die Einnahmen zu erhöhen. Exakt hier stößt Lindners FDP bisher regelmäßig an ihre intellektuelle Obergrenze.

Vielleicht sollte der Staat mal an die extremen Gewinne einiger weniger ran

Dabei redet niemand Steuererhöhungen auf breiter Front das Wort. Im Gegenteil, die Abgabenlast insgesamt ist sicher hoch genug. Nötig wären vielmehr Investitionsanreize für kleine und mittlere Betriebe bei gleichzeitiger Abschöpfung der extremen Gewinne, Gehalts- und Vermögenszuwächse, die viele Konzerne und reiche Bürger über die Jahre verbucht haben und immer noch verbuchen - manche übrigens auch und gerade in der Pandemie. Der FDP würde eine solche Horizonterweiterung zugleich die Chance eröffnen, einem lieben Freund zu neuem Glanz zu verhelfen, der wegen seiner Exzesse und Ausschweifungen gerade für viele junge Menschen zuletzt massiv an Attraktivität eingebüßt hat: dem Kapitalismus.

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