Süddeutsche Zeitung

Bulgarien:Land der vielen Möglichkeiten

Präsident Rumen Radew hat der gebeutelten Nation in der Krise Stabilität verliehen. Und die Menschen verlangen nach mehr - zu Recht.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Seit April hat Bulgarien keine gewählte Regierung. Zweimal bereits scheiterte der Versuch, eine arbeitsfähige Koalition zusammenzustellen. Gerade versuchen es die Sieger der mittlerweile dritten Parlamentswahl in diesem Jahr erneut. Immerhin hat Bulgarien seit Sonntag einen neuen Präsidenten, der zugleich der alte ist: Rumen Radew wurde wiedergewählt. Er hat dem Land in der fortdauernden politischen Krise eine gewisse Stabilität verliehen, und nicht nur das: Er hat jenen Wandel vorangetrieben, den die Bürger fordern und die Parteien bisher nicht hinbekommen haben.

Radew hatte sich vor Jahresfrist einen heftigen Schlagabtausch mit dem damaligen Ministerpräsidenten Bojko Borissow geliefert und die Demonstranten unterstützt, die gegen Korruption und Mafiamethoden in der Politik auf die Straße gegangen waren. In diesem Jahr nun hatte er eine Expertenregierung eingesetzt, die Vertrauen bei der Bevölkerung zurückgewinnen konnte. Dass zwei der Minister, die er ernannte, die letzte Parlamentswahl vor einer Woche aus dem Stand mit dem Versprechen gewinnen konnten, "Wir setzen den Wandel fort", wie der Parteiname lautet, ist auch sein Verdienst.

Aber Politik in Bulgarien ist nie, was sie zu sein scheint: Lange war die Grenze zwischen Amt und Amtsmissbrauch ebenso fließend wie die zwischen Parteipolitikern und Oligarchen. Minderheitenvertreter repräsentieren vor allem Clanchefs, die im Ausland leben, Populisten vor allem die eigenen Interessen. Radew begann seine Karriere bei der KP, seinen Aufstieg beförderten die nationalistischen, russlandfreundlichen Sozialisten. Jetzt unterstützen ihn Korruptionsbekämpfer und Reformpolitiker. Der Präsident verspricht, dass er mit ihnen das Land neu aufstellen wolle. Sollte es tatsächlich eine reformorientierte Koalition geben, muss Radew sie nach Kräften unterstützen - und sich zugleich selbst aus der Rolle des starken Mannes, welche die Krise ihm aufgezwungen hatte, zurückziehen.

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